Jahrgang 2005
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Unser Ansatz ist: Fordern und Fördern“

Im Februar 2005 verzeichnete die Bundesrepublik Deutschland den höchs-ten Stand an Arbeitslosigkeit in ihrer Geschichte. 5.216.434 Frauen und Männer waren offiziell arbeitslos. Die Boulevardzeitung mit den vier großen Buchstaben titelte vom Tag der Schande“ und forderte die Politiker auf: Tut endlich was!“ Dabei hat die Bundesregierung gemeinsam mit der Opposition eine Reform in Gang gebracht, die unter dem vereinfachenden Schlagwort Hartz IV“ bekannt wurde. Seit zwei Monaten ist Hartz IV in Kraft. Welche Auswirkungen die neue Gesetzgebung bislang hatte, wollten wir von Herbert Botz erfahren. Der Geschäftsführer für den operativen Bereich der Agentur für Arbeit in Brühl stellte sich dem Brühler Bilderbogen im exklusiven Gespräch.

Auch die Zahlen für den südlichen Erftkreis, zu dem neben der Stadt Brühl auch Erftstadt, Wesseling und Hürth zählen, sind alarmierend. Knapp 26.000 Menschen waren im Februar arbeitslos gemeldet, das waren 5.000 mehr als im Februar 2004. Diese Zunahme liegt in den Auswirkungen von Hartz IV begründet“, erklärt Herbert Botz. Die Zahl hat zugenommen, weil jetzt auch die ehemaligen Sozialhilfeempfänger in der Arbeitslosen-Statistik berücksichtigt werden.“ Durch die Zusammenlegung von Empfängern von Arbeitslosenhilfe und von Sozialhilfe ist die Zahl gestiegen. Dagegen ist der Anteil der Personen aus Erwerbstätigkeit um 14 Prozent rückläufig.“ Das bedeutet, dass die Zahl derer, die aus einem Arbeitsverhältnis he-raus arbeitslos geworden sind, zurückgegangen ist. Keine Statistik also ohne Hoffnungsschimmer.


Leistungen aus einer Hand“

Die Diskussion über die Arbeitslosenzahl muss sehr viel differenzierter und sachlicher angegangen werden“, fordert Herbert Botz. Man muss untersuchen, was hat sich wie entwickelt.“ In den ersten beiden Monaten waren die Agenturen für Arbeit vor allem damit beschäftigt, die neue Gesetzgebung umzusetzen. Wir haben die Umstellung auf die Reihe bekommen“, meint Botz. Die Allermeisten bekommen jetzt rechtzeitig ihr Geld.“

Der 47-Jährige, einer von drei Geschäftsführern des Brühler Arbeitsamtes, sieht in Hartz IV viele richtige Ansätze. Ich halte es für wichtig, dass die Zweispurigkeit beendet wurde. Oft wurden die Bürger hin- und hergeschickt. Das Prinzip der Ortsnähe ist richtig, auch die Tatsache, dass die Leistungen aus einer Hand gewährt werden. Wie bei allen Reformen tauchen dann aber auch Einzelfälle auf, bei denen der Gesetzgeber erkennt, dass es Schwächen im System gibt, die zu unerwünschten Fällen führen können. Und diese werden dann von der Boulevardpresse zur Stimmungsmache ausgeschlachtet, wenn z.B. fälschlicherweise behauptet wird, dass ein Enkel sein Sparbuch für die Großeltern opfern muss.“ Ebenso wenig stimme, dass Menschen gezwungen werden aus ihren Wohnungen auszuziehen oder ihre Autos verkaufen müssten. Es werde dann aber nicht mehr eine 100-qm-Wohnung für zwei Personen gefördert, sondern nur noch 65 qm.

Durch weitere Maßnahmen wollen die Arbeitsämter ihre Effizienz steigern und Erleichterungen für die bedürftigen Menschen erreichen. Wir werden in allen zehn Kommunen des Erftkreises Jobcenter errichten“, berichtet Herbert Botz. Dann müssen die Hürther oder Wesselinger nicht mehr zum Brühler Arbeitsamt, sondern haben in ihrer Heimatstadt Anlaufstellen.“ Durch die Zusammenlegung der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger gibt es jetzt nur noch eine Anlaufstelle und nicht mehr den beschwerlichen Gang zu mehreren Ämtern. Das Motto lautet: Hilfe aus einer Hand.“


Kampf der Jugendarbeitslosigkeit

In Zukunft soll vor allem das Problem der Jugendarbeitslosigkeit angegangen werden, womit junge Leute unter 25 Jahren gemeint sind. Die Ursachen ihrer Arbeitslosigkeit sind bekannt: Viele werden nach der Ausbildung nicht übernommen, viele haben noch nicht einmal eine Ausbildungsstelle bekommen, viele sind ungelernt und durch Sprachhemmnisse (Aussiedler oder Ausländer) benachteiligt. Wir wollen versuchen, die Betreuungsdichte gering zu halten“, sagt Herbert Botz. Arbeitsvermittler sollen sich gezielt um eine bestimmte Anzahl von Arbeitssuchenden bemühen. Ziel ist es, dass ein Vermittler sich um 75 Arbeitslose kümmern soll.

Unterstützt wird er von einem so genannten Fallmanager. Der Fallmanager nimmt den Arbeitssuchenden in die Pflicht. Wir nennen es eine Eingliederungsvereinbarung. Beide Seiten schließen eine Art Vertrag, der beide verpflichtet, aktiv zu werden. Der Ansatz ist: Fordern und fördern. Der Jugendliche muss nachweisen, dass er sich um eine Stelle bemüht und uns beispielsweise seine Bewerbungen vorlegen. Und wir sind bereit, dem Bewerber ein für einen Arbeitgeber keine Kosten verursachendes Praktikum zu finanzieren. Daraus ergeben sich häufig nach dem Praktikum neue Beschäftigungsverhältnisse. Wenn alle Stricke reißen, müssen wir uns auf dem so genannten zweiten Arbeitsmarkt umsehen und über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, 1-Euro-Jobs oder Fortbildungen nachdenken.“

Ähnlich schwierig wie die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit gestaltet sich die Wiedereingliederung älterer Arbeitsloser ins Berufsleben. Ältere Leute werden eher nicht eingestellt, weil jüngere Bewerber günstiger sind“, weiß Herbert Botz. Die demographische Entwicklung könnte nach Ansicht des Juristen (für öffentliches Recht und Sozialrecht) dazu führen, dass sich in einigen Jahren die Aussichten für ältere Jobsuchende wieder verbessern, da weniger junge Menschen auf den Arbeitsmarkt strömen werden.

Während bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ein Verhältnis von Arbeitsvermittler zu Arbeitslosen von 1:75 angestrebt wird, soll auch insgesamt die Betreuungsdichte auf ein Verhältnis von 1:150 angehoben werden. Derzeit sind es vielerorts noch zwischen 600 und 800 Arbeitssuchende auf einen Vermittler. Die erforderliche Vervierfachung des Personals in den Agenturen für Arbeit läuft an. Sie bringt aber auch räumliche Probleme mit sich. Deshalb wird in Brühl nach einem neuen Gebäude Ausschau gehalten.

Herbert Botz setzt bei jedem Arbeitssuchenden erst einmal voraus, dass er sich wirklich um eine Stelle bemüht und arbeitswillig ist. Er weiß um das nicht gerade positive Image des Arbeitsamtes. Wer kommt schon gerne zu uns? Es macht ja niemandem Spaß, vor uns seine Einkommensverhältnisse offen zu legen und um Leistungen zu bitten“, meint der verheiratete vierfache Familienvater. Jeder Arbeitslose wird fair behandelt, muss aber auch selbstverständlich bereit sein, auch Jobangebote anzunehmen, die vielleicht nicht 100-prozentig seinen Vorstellungen entsprechen. Wenn wir Zweifel haben, dass sich ein Arbeitsloser nicht ausreichend einsetzt, werden wir gezielt nachfassen und ihn überprüfen. Und dann können auch Leistungen gekürzt werden. Das geht jetzt etwas schneller und einfacher.“


Veränderungen im Arbeitsleben

Doch wie lässt sich das Problem der Arbeitslosigkeit in den Griff bekommen? Wir werden dann Bewegung auf dem Arbeitsmarkt bekommen, wenn drei Faktoren zusammenkommen“, prognostiziert Herbert Botz. Zum einen müssen die politischen Rahmenbedingungen stimmen. Dann müssen die internen Rahmenbedingungen passen und schließlich muss drittens die Konjunktur laufen. Wir sind dabei die Vorlagen der Gesetzgeber umzusetzen. Mehr Geld für Personal ist bewilligt, die Qualifizierungsmaßnahmen und die Ortsnähe laufen an. Wir haben schon eine Reihe von Möglichkeiten unter den gegebenen Rahmenbedingungen vor Ort zu gestalten. Wenn jetzt noch die Konjunktur anspringt ...“

Klar ist aber auch, dass eine Vollbeschäftigung in absehbarer Zeit illusorisch ist. Zu sehr hat sich auch das Arbeitsleben verändert. Befristete Verträge sind heutzutage üblich, häufig gibt es sogar lediglich Projekt bezogene Anstellungen. Die intellektuellen Anforderungen sind größer geworden. Und wenn sogar Großunternehmen wie die Deutsche Bank trotz Milliardengewinnen massenhaft Mitarbeiter entlassen, sind Politik und staatliche Organe machtlos und überfordert. Die Absichten und Ansätze der Verbesserungen sind sicherlich zu begrüßen. Nur leider greifen die Maßnahmen bislang noch nicht und haben noch keine zählbaren Ergebnisse gebracht. Doch daran werden sie gemessen werden.

Tobias Gonscherowski

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