Jahrgang 2007
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1912 malte Philipp Ernst, der Vater von Max Ernst, ein erstaunlich großformatiges Bild. Es zeigt die sechsjährige Schwester von Max in Seitenansicht an der Staffelei. Mit Pinsel und einer übergroßen Palette ausgestattet ist das kleine Mädchen dabei, ein Strichmännchen auf die weiße, leere Leinwand zu setzen. Die Anspannung ist perfekt wiedergegeben. Der Blick von Loni ist konzentriert auf das eigene Tun gerichtet, die Muskeln der Stirn und der Halsschlagader unterstützen den Ausdruck.
 
Zwei Welten, zwei Auffassungen von Kunst prallen aufeinander und erzeugen die dargestellte Diskrepanz. Die akribische Feinmalerei des Vaters ist bemüht, ein exaktes, naturgetreues Abbild der Wirklichkeit zu geben, während die Fähigkeiten des Kindes lediglich eine schematisierte Annäherung zustande bringen. Kunstideal und Kinderzeichnung werden miteinander konfrontiert. Im selben Jahr hatte Philipp Ernst mit einem weiteren Gemälde einen besonderen künstlerischen Erfolg. Sein Bildnis des Kardinals Fischer, Erzbischof von Köln, für das Rathaus in Jülich fand nicht nur bei der Stadtverordnetenversammlung allgemeinen Beifall, sondern kam auch bei der Familie Fischer so gut an, dass er drei Kopien des Porträts anfertigen musste.
 
Zwanzig Jahre später schuf Philipp Ernst ein wesentlich kleineres Ölgemälde, das die inzwischen Erwachsene Loni auf der Terrasse von Schloss Augustusburg zeigt. Modisch im Stil der dreißiger Jahre gekleidet steht die junge Dame an der Balustrade, hat ihre Hand auf das Geländer gelegt und blickt den Betrachter an. Vermutlich diente eine Fotografie als Vorlage für die Darstellung, die nicht nur den hellen Mantel, die Schuhe, die Kopfbedeckung und die rote Handtasche wiedergibt, sondern minutiös auch die von Bäumen und Rabatten gesäumte Parkanlage mit Spiegelweiher und Fontäne, mit vier überlebensgroßen Statuen aus gefasstem Metall, darunter links eine Kopie der Venus von Capua, und mit einzelnen Besuchern als belebende Staffage abbildet.
 
Loni Ernst promoviert
 
1931, im Jahr bevor die Parkansicht entstand, hatte Loni Ernst ihr Studium der Kunstgeschichte erfolgreich abgeschlossen. Nach elf Semestern an den Universitäten in Bonn, München und Köln sowie nach fünf ausgedehnten Exkursionen, die sie zu Museen und Sehenswürdigkeiten in Belgien, den Niederlanden, Italien und Frankreich führten, promovierte sie über das Thema "Manieristische Florentiner Baukunst". Über die folgenden Jahre notierte Vater Philipp voller Stolz in seinem Familienbuch: "Im Januar 1932 fuhr Loni nach Paris zu weiteren Studien in Museen und Bibliotheken; sie wohnte dort bei ihrem Bruder Max. Nach ihrer Rückkehr war sie von Mai 1932 bis August 1933 Assistentin am kunsthistorischen Institut in Berlin und von September 33 bis Juli 34 Volontärin am dortigen Kupferstichkabinett. 1935 erschien im Verlag für Volkskunst und Volksbildung Richard Keutel, Lahr in Baden, ein Ludwig Richter-Album mit 255 einfarbigen und 16 farbigen Bildern; Loni schrieb im Auftrag der Firma zu diesem Album das Geleitwort." Im September 1934 heiratete Loni Ernst den Kunsthistoriker Lothar Pretzell, den sie während des Studiums kennen gelernt hatte. Für die Retrospektive zum 60. Geburtstag von Max Ernst, die 1951 im Schloss Augustusburg stattfand, erarbeiteten sie gemeinsam das begleitende Katalogbuch, die erste grundlegende Publikation über der Künstler in Deutschland.
 
Porträts sind bis Ende März zu sehen
 
Die beiden Porträts von Loni sind noch bis Ende März als Leihgaben in der Schausammlung des Max Ernst Museums zu sehen. Das Jahr 1912 wird darüber hinaus durch die Sonderausstellung "In Augenhöhe: Paul Klee. Frühe Werke im Blick auf Max Ernst" vertieft, die jüngst von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als "kunsthistorisch bravourös aufgearbeitet" gelobt wurde. Ein Aspekt der Präsentation sind Zeichnungen, die Paul Klee im November 1912 im Kölner Gereonsklub zeigen konnte; kurz zuvor hatte er die Kunst der Kinder als Ideal der Avantgarde bezeichnet.
 

 

 

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