„Wir werden eine Jazzclubatmosphäre in die Galerie am Schloss bringen”
Am 24. September gastiert um 20 Uhr die vor gut einem Jahr gegründete Brühler Band „Hochhäuser“ mit ihrem ersten abendfüllenden Jazzprogramm in der Galerie am Schloss. Dann werden die vier Musiker ihr selbstgewähltes Motto „Weit sehen. Klare Linien ziehen. Fahrstuhl fahren. Große Flächen gestalten. Viele Grooves unter einem Dach versammeln“ in die Tat umsetzen. Der Brühler Bilderbogen hat sie bei den Proben besucht.
Sie haben sich in den Räumen der Kunst- und Musikschule der Stadt Brühl getroffen, um vier Wochen vor dem Konzert den letzten Feinschliff zu bekommen. Zwei von ihnen kennen sich hier bestens aus. Denn sowohl „Hochhäuser“-Initiator und Saxophonist Matthias Petzold als auch der Bassist Nils Imhorst unterrichten im altehrwürdigen Brühler Traditionshaus. Seit Jahren kennen sie sich, doch zusammengespielt, haben sie früher eher selten.
Weiterhin mit an Bord des Quartetts sind der Brühler Gitarrist Andi Reisner sowie der Grevenbroicher Schlagzeuger Tobi Lessnow. Für das Bandprojekt „Hochhäuser“ haben sie sich zusammengetan, vier Musiker mit ganz unterschiedlichen künstlerischen Biografien. Von Duke Ellington bis Jimi Hendrix, von Miles Davis bis Bob Marley, von Astor Piazolla bis Karlheinz Stockhausen reichen die Einflüsse und musikalischen Vorlieben, die die Berufsmusiker von Rhein und Ruhr mit in die Band einbringen.
Hinzu kommt ein weiterer „heimlicher“ Protagonist: ein Tascam-4-Spur-Kassettendeck, mit dem analoge Sounds in das Spiel der Band eingemischt werden. Am Schnittpunkt der genannten Traditionslinien aus dem 20. Jahrhundert entwickelt Hochhäuser so eine zeitgenössische Musik, die geprägt ist durch Improvisation, intensive Grooves und eine Vielfalt von Klangfarben.
Den Hauptteil der Kompositionen steuert Matthias Petzold bei, der seit über 20 Jahren an der KuMS Saxophon unterrichtet. „Wir orientieren uns am Jazz. Die Stücke sind nicht ganz vollständig und lassen viel Spielraum für Improvisation“, sagt der 46-Jährige. „Die Melodien liegen vor, aber wir machen jedes Mal etwas anderes daraus. Die Stücke entwickeln sich in einem Gemeinschaftsprozess weiter.“
Inspiriert durch Radiosendung
Seitdem Matthias Petzold im Alter von 14 Jahren zufällig die Radio-Sendung „Jazzplatte der Woche“ hörte, lässt ihn die faszinierende und beunruhigende Ästhetik des Jazz nicht mehr los. Der Saxophonist und Komponist schrieb Stücke für zahlreiche Projekte in allen möglichen Besetzungen von Duo bis Septett bis hin zu großem Orchester. Dabei entstanden unter anderem drei Kompositionszyklen: Die „Psalmenvertonungen für Chor und Jazz-Ensemble“, „Pangäa“ für Bigband und „Mirrors“ nach Motiven von Shakespeare für Sinfonieorchester und Jazz-Combo. Bei Hochhäuser setzt Matthias Petzold, der auch eine zweibändige Saxophon-Schule veröffentlicht hat, das Hauptaugenmerk auf die Symbiose zwischen Klangcollage und Komposition. Mit seinem warmen Saxophonsound und den Klängen vom 4-Spur-Kassettendeck setzt er gekonnt Akzente.
„Wir achten auch darauf, dass der Sound und die Grooves nicht zu jazzmäßig werden“, meint Matthias Petzold, dessen rhythmischen Vorlieben sich im Laufe der Jahre verändert und weiterentwickelt haben. Geblieben ist aber seine Vorliebe für den Jazz. Dagegen ist Andi Reisner eher ein Rockmusiker.
Der Gitarrist bezeichnet sich selbst als Sound Junkie. Ständig schraubt der Workaholic in seinem Brühler „Pulsarstudio“ an Songs und Soundtracks. Jeder deutsche Kino- und Fernsehzuschauer hat mit ziemlicher Sicherheit schon einmal Arbeiten von Andi Reisner gehört. Denn immer wieder wird der 50-jährige Bandsenior von der renommierten Filmmusik-Komponistin Annette Focks als Klangkünstler und Gitarrist gebucht.
So ist über die Jahre ein beeindruckender Katalog entstanden, der anspruchsvolle Filmerfolge wie „Romy, vier Minuten“ (deutscher Filmpreis 2007) oder „Ein starker Abgang“ (nominiert für den Grimme Preis 2009) genauso umfasst wie Hits wie „Die wilden Hühner“, „Die drei Fragezeichen“, „Krabat“ oder die „Sendung mit der Maus“. Mit dem Ensemble für Neue Musik „Ugly Culture“ tourte Andi Reisner zudem durch Europa. Dabei meisterte er mit seinem virtuosen Spiel die kompositorischen Berg- und Talfahrten der Neuen Musik und erforschte deren Klangsphären und Ästhetik. Parallel widmete sich Andi Reisner mit dem Projekt „Autoprozessor“ seiner heimlichen Liebe: dem Jazzrock. Mit Hilfe von illustren Gästen feilte der Gitarrist im Studio an seinen Kompositionen. Acht Alben sind mittlerweile erschienen. Auch in Hochhäuser geht Andi Reisner seinem Faible für verspielte Solos und groovige Licks nach. Dass er dabei gesteigerten Wert auf ausgefallene Klänge und Effekte legt versteht sich von selbst.
Improvisation mit amüsanten Effekten
Dritter im Bunde des Hochhäuser-Komplexes ist Nils Imhorst. Er ist ein viel beschäftigter Kontra- und E-Bassist. In unzähligen Projekten ist der 40-Jährige gebürtige Kölner anzutreffen. Beispielsweise tourte er mit der Band „Furiopolis“ durch Madagaskar, mit dem Tango und Klezmer Quartett „Klezcetera“ spielte er in vielen Ländern Europas. In dem Trio „Olinka Orphea & Band“ widmete er sich der Gratwanderung zwischen kauzigem Pop und skurrilem Humor und wirkte an den zwei preisgekrönten Videos der Band mit. Neben seines professionellen Engagements fand er aber auch wieder Zeit, bei Spaßprojekten wie der Brühler Band „Gelbe Säcke“ mitzuwirken. Zudem unterrichtet er bis heute an der KuMS Kontrabass.
Als Musiker und Komponist ist Nils Imhorst außerdem fester Bestandteil der Theaterszene des Ruhrgebiets und bei den unterschiedlichsten Inszenierungen zu hören und zu sehen. Darüber hinaus arbeitet er regelmäßig bei Hörspiel-Produktionen mit. 2009 startete er sein Projekt „Tangolectrón“. An der Schnittstelle zwischen Electronica und Tango entstand unter seiner Regie ein Album, das überwiegend aus Eigenkompositionen besteht. Bei Hochhäuser kombiniert Nils Imhorst seine lässigen Basslinien und Improvisationen mit einer kleinen Batterie amüsanter Effekte.
Bis zum Hochhäuser-Projekt hatte Drummer Tobi Lessnow nicht allzu viel Kontakt nach Brühl. Das hat sich nun geändert. Der Schlagzeuger hat einen besonderen Hang zum Pop. Nach seinem Debüt „Lifetime Membership“ arbeitet er derzeit an seinem zweiten Album. Wie auch beim Vorgänger schreibt der Perfektionist dabei die Songs, produziert, singt und spielt alle Instrumente. Mit dem Trio „Transwagon“ tauchte er in das Spannungsfeld zwischen Neue Musik und Jazz ein. Diese Genremischung wurde in der Band „Betty Lacantar“ mit einem Gemenge aus Noise und Kakophonie weiterentwickelt.
In jüngster Vergangenheit trat Tobi Lessnow insbesondere in der Jazz-Kolchose „The Dorf“ in Erscheinung. Bandleader Jan Klare schart in diesem Projekt einmal im Monat 15 bis 20 Musiker um sich und feuert mit ihnen einen hemmungslosen Stilmix ab. Zusätzlich ist der Drummer in der Theaterszene tätig. Das Rappeln und Rumpeln der Rhythmen ist eine Leidenschaft, der Tobi Lessnow bei Hochhäuser freien Lauf lässt. Aber auch das filigrane Pulsieren ist eine Spezialität des Groove Fanatikers.
Weitere Konzerte geplant
Matthias Petzold ist es also gelungen, drei Topmusiker um sich zu versammeln. Neben dem Brühler Konzert am 24. September tritt Hochhäuser in Köln, Düren und Koblenz auf. Im Winter wird eine CD aufgenommen, die über das eigene Plattenlabel des Saxophonisten (www.indigo-records.de) bestellt werden kann. „Ich hoffe, die Band bleibt noch lange zusammen“, sagt Matthias Petzold, der sich sehr auf das Brühler Konzert freut und verspricht: „Wir werden eine Jazzclubatmosphäre in die Galerie am Schloss bringen.“
Tobias Gonscherowski