„Ob groß, ob klein, ob ärm, ob rich, em Fasteleer sin all glich”
Dieses Dreigestirn ist rekordverdächtig. Handgestoppte 17 Minuten dauerte der Einmarsch in den Saal anlässlich der Proklamation von Prinz Wolfgang III., Bauer Jürgen und Jungfrau Michelle. Selten ging es bei einer Proklamation so stimmungsvoll zu wie bei den neuen Tollitäten, die sich kurz darauf in ihrer Hofburg Ramada Hotel in Brühl mit dem Brühler Bilderbogen zum persönlichen Gespräch trafen.
„Das muss man live erleben“, war Bauer Jürgen (Kock) auch Tage danach noch schwer beeindruckt von der Proklamation im Tanzsportzentrum. „Man verliert sein Zeitgefühl total.“ Genauso erging es auch Prinz Wolfgang (Lis). „Wir hatten ein Konzept für den Abend festgelegt. Aber das war mit dem Einmarsch weg. Es war als wenn man mit dem Flugzeug durch die Wolken geflogen wäre und dann wieder rausgekommen ist. Einfach nur klasse“, schwärmt der Prinz. Der Auftakt ist auf alle Fälle gelungen.
„Ich habe mir die Kölner Proklamation im Fernsehen angeschaut“, sagt Prinzenführer Karl-Heinz Becker. „Da hat mir unsere aber in Brühl bedeutend besser gefallen. Hier hat sich der Bürgermeister wohltuend zurückgehalten und dem Dreigestirn das Feld überlassen. So muss es sein, es geht ja an diesem Abend um das Dreigestirn.“
Seitdem absolvieren die Tollitäten ihr Mamutprogramm mit rund 150 Auftritten bei vielen größeren und kleineren Anlässen, immer begleitet von einem vielköpfigen Team, das sie vorbildlich unterstützt. So können sich Prinz, Bauer und Jungfrau ganz darauf konzentrieren, als Dreigestirn die Stadt Brühl würdig zu vertreten, gleichzeitig aber auch ihr Hauptanliegen zu realisieren. „Wir wollen den Menschen Spaß bereiten“, meint Jungfrau Michelle (Michael vom Hagen). „Wenn wir den Spaß, den wir untereinander haben, auch nur halbwegs rüberbringen, wird es eine Supersession.“ Persönliche Eitelkeiten lassen die drei dabei völlig außen vor. „Sicher ist Karneval auch eine ernste Angelegenheit“, so Michelle weiter. „Und wir wollen auf der Bühne auch keine tolpatschige Lachnummer abgeben. Aber wir nehmen uns auch selbst nicht so ernst und wollen einfach nur den Leuten Freude machen und Spaß bereiten. Wir wollen auch nicht mit anderen verglichen werden. Wir sind nicht bei einer Superstarsuche von Dieter Bohlen.“ Entsprechend haben sich Prinz Wolfgang III., Bauer Jürgen und Jungfrau Michelle ein passendes Motto ausgesucht: „Ob groß, ob klein, ob ärm, ob rich, em Bröhlche Fasteleer sin all glich.“
Anmeldung schon 2001
Seit März des vergangenes Jahres haben sich Wolfgang Lis, Jürgen Kock und Michelle vom Hagen auf die neue Aufgabe vorbereitet, in der letzten Session als Schloßgarde 80 gemeinsame Besuche anderer Veranstaltungen unternommen und dem damaligen Dreigestirn über die Schulter geschaut und später viele nützliche Teams von ihm bekommen.
Schon im Jahr 2001 hatte die „Schloßgarde der Stadt Brühl, Große Karnevalsgesellschaft Rut-Weiß von 1972“ ihr Interesse daran bekundet, wie schon sechsmal zuvor das Dreigestirn zu stellen. Auch die Rollen waren schnell verteilt. Wolfgang Lis wollte Prinz werden, Jürgen Kock Bauer. Nachdem dann die Jungfrau absprang, musste Michael vom Hagen nicht lange überredet werden. Er wollte „Ihre Lieblichkeit“ werden.
Wolfgang Lis erblickte als jüngstes von fünf Geschwistern 1965 in Brühl das Licht der Welt. Nach seiner Schulzeit absolvierte er eine Ausbildung zum Radio- und Fernsehtechniker, bevor er 1986 zur damaligen ROW, der heutigen Lyondell Basell, wech- selte, wo er bis heute arbeitet. 1995 machte er seinen Meister in Chemie. Seit 2004 ist er in zweiter Ehe mit seiner Bozena verheiratet, aus seiner ersten Ehe stammen die Kinder Sabrina und Dennis.
Seit seinem 7. Lebensjahr ist Wolfgang Lis karnevalistisch aktiv. Seit 1998 ist er in der Schloßgarde, zwei Jahre später wurde sein Sohn Dennis Brühler Kinderprinz. 2006 wurde Wolfgang Lis Vizepräsident und im Mai 2008 übernahm er vom heutigen Ehrenpräsident Lothar Lersch das Amt des Präsidenten der Schloßgarde.
Jürgen Kock und Wolfgang Lis haben sich im Jahr 2000 karnevalistisch näher kennengelernt, als ihre Söhne Prinz und Bauer im Kinderdreigestirn waren. In gleichen Rollen glänzen nun auch die Erwachsenen. Jürgen Kock wurde 1963 in Hürth-Hermülheim geboren, wuchs in Brühl auf und begann 1979 seine Ausbildung zum Chemiefacharbeiter bei der ROW. Nach erfolgreichem Abschluss und der Bundeswehrzeit wechselte er als Laborant und später als Schichtführer zur Kerpener Firma Schulmann, der er bis 2005 treu blieb, ehe er in gleicher Position zur Firma Albis nach Zülpich ging.
Jürgen Kock ist seit 1986 mit seiner Frau Astrid verheiratet und hat zwei Kinder, Dominic (der Bauer des Kinderdreigestirns des Jahres 2000) und Michelle. Die Familie wohnt in Brühl-Kierberg. Bis 1999 hatte er mit Karneval „überhaupt nichts am Hut“. Das änderte sich durch seinen Sohn. „Das bereits in mir schlummernde Karnevalsgen wurde mit voller Kraft aktiviert“, sagt er heute. Er trat in den Herrenelferrat der Schloßgarde ein, dann in das Corps a là Suite und wurde später Senator. 2004 freute er sich, dass seine Tochter Michelle Jungfrau im Kinderdreigestirn wurde. Jetzt ist er selbst im Dreigestirn und das als Bauer. Nichts anderes wollte er werden.
Michael vom Hagen kam 1964 in Wesseling auf die Welt und darf sich somit einen waschechten Rheinländer nennen. Der Sohn eines Maurers und einer Krankenschwester wuchs in Brühl-Ost auf, bestand 1985 sein Abitur am Max Ernst Gymnasium und absolvierte anschließend eine Lehre zum Industriekaufmann bei Mauser. Nach der Wehrdienstzeit in Koblenz arbeitete er zehn Jahre als Einkäufer bei Sony Deutschland in Köln. Dort lernte er auch seine Frau Andrea kennen, die er 1992 heiratete. 1999 wechselte als Einkaufsleiter zur damaligen Renault Bank nach Köln und später nach Neuss. Inzwischen arbeitet der 45-Jährige als strategischer Einkäufer für Renault Deutschland in Brühl. Mit seiner Frau und Tochter Linda lebt er in Brühl-Kierberg.
Seit drei Jahren engagiert sich Michael vom Hagen bei der Schloßgarde, „um auch selbst einen Beitrag zur Erhaltung und Förderung des Brauchtums zu leisten“. Jetzt gibt er im Dreigestirn die Jungfrau, verspricht aber, keine „Zicke“ und ganz brav zu sein.
Ein unschlagbares Team
Michael vom Hagen ist aber auch in Brühl als gar nicht so braver und kritischer Kommunalpolitiker bekannt. Seit 2004 sitzt er im Rat der Stadt Brühl und leitet dort als Vorsitzender die Arbeit der Fraktion der Grünen. Im Karneval spielen seine politischen Aktivitäten aber keine Rolle. „Das trenne ich ganz klar. Ich habe mich jetzt vorübergehend aus der Fraktion ausgeklinkt“, sagt Michael vom Hagen. „Andere können das nicht so gut trennen. Aber ich habe gelernt, den Mund zu halten und alle Sprüche einfach wegzulächeln.“
So langsam aber sicher steuert die Session 2010 auf ihren Höhepunkt zu, den „Närrischen Elias“ am 14. Februar. Dem fiebert sich Bauer Jürgen am meisten entgegen: „Ich freue mich auf jeden einzelnen Auftritt, aber vor allem auch darauf, auf dem vorletzten Wagen des Zuges durch Brühl zu fahren.“ Prinz Wolfgang kann es kaum erwarten, bei der Damensitzung der Schloßgarde am 29. Januar auf der Bühne zu stehen. „Und ich freue mich auf den Auftritt bei der Lebenshilfe. Die Herzlichkeit dort ist phänomenal“, sagt er. Auch für Jungfrau Michelle gibt es neben den vielen anderen schönen Anlässen auch einen persönlichen Favoriten. „Der Auftritt bei den Wassermelönchen ist mein Highlight“, meint er. Warum das so ist, wollte er nicht verraten. Immer an der Seite des Dreigestirns ist wieder Prinzenführer Karl-Heinz Becker. Zum neunten Mal dirigiert er das Dreigestirn souverän durch alle Säle und zu allen Terminen. Zusammen mit ihren Adjudanten, Fahrern und Familien bilden sie ein unschlagbares Team. Es wird sicher wieder eine tolle Session.
Tobias Gonscherowski