Jahrgang 2011
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„Die Interessen der Bürger werden nicht ausreichend berücksichtigt”

Es tut sich etwas in Brühl. Es hat sich gezeigt, dass viele Bürger nicht mehr zufrieden damit sind, wie ihre Interessen im Stadtrat vertreten werden. Erst gründete sich die Bürgerinitiative „Bürgerbegehren Rathausanbau Steinweg bleibt“, die im Rahmen ihres Bürgerbegehrens 4.500 Unterschriften sammelte, um den im Rat mit großer Mehrheit beschlossenen Neubau des Rathausanbaus zu verhindern. Nachdem der Rat das Bürgerbegehren für unzulässig erklärte, formiert sich nun weiterer Widerstand.

 

Die Initiatoren des Bürgergehrens haben nun Klage gegen den Beschluss eingereicht. Parallel dazu gründet sich derzeit das „Bürgerrechtsforum Brühl“, das sich als Interessensvertreter der Brühler Bürger versteht und einen sachlichen Dialog ohne parteipolitische Interessen mit der Stadtverwaltung führen will. Wir haben uns mit einem der Vereinsgründer, dem Diplom-Kaufmann Dr. Bernd Boecken, unterhalten, der sich auch bereits beim Bürgerbegehren engagierte.

 

BBB: Herr Dr. Boecken, welche Gründe hatten Sie persönlich, sich für das Bürgerbegehren als Privatperson und Brühler Bürger zu engagieren?
Dr. Bernd Boecken:
Es hat sich gezeigt, dass sich Politiker auf allen Ebenen zu einer Parallelgesellschaft entwickelt haben ohne Bezug zum Bürgervotum. Das führt dazu, dass die Bürger frustriert sind und nicht mehr zu den Wahlen gehen. Es gibt eine Kluft zwischen den Bürgern und den Bürgervertretern. Der Einzelne fühlt sich nicht stark genug und kann seine Interessen nicht so vertreten. Es bedarf einer Plattform für Bürger, um die Kluft zwischen der Stadtverwaltung und den Bürgern zu verkleinern. Viele denken, dass Bürgerbegehren nicht in die Landschaft passen. Das Gegenteil ist der Fall. Man muss die Initiative ergreifen und braucht Personen, die es umsetzen. Deshalb mache ich mit. Das hat nichts mit Parteien zu tun. Es geht um Bürgerinteressen. Wir sind neutral und verfolgen keine parteipolitischen Aspekte.

BBB: Wie sieht Ihre Meinung zur gegenwärtigen Brühler Kommunalpolitik aus auch vor dem Hintergrund des für unzulässig erklärten Bürgerbegehrens?
Dr. Boecken:
Generell empfinde ich die Informationspolitik als katastrophal, gerade vor dem Hintergrund, dass die CDU im letzten Wahlkampf mit ihrer Bürgernähe geworben hat. Bei materiell großen Projekten und strukturellen Veränderungen sollte frühzeitig der Bürgerwille berücksichtigt werden. Das ist nicht geschehen. Der Bürger hat nach der Gemeindeordnung NRW das Recht bei der Einleitung eines Bürgerbegehrens sich Rechtshilfe bei der Kommune einzuholen. Denn die Bürger haben nicht die Rechtskenntnisse. Sie müssen sich auf die Aussagen der Stadtverwaltung verlassen können. Die Initiative hat ein Schreiben des Bürgermeisters erhalten, in dem steht, dass die Voraussetzungen für ein Bürgerbegehren erfüllt sind. Daraufhin haben 4.500 Bürger durch ihre Unterschrift ihre Ablehnung dokumentiert. Dann wurde der Versuch unternommen, das Bürgerbegehren aus formellen Gründen für unzulässig zu erklären. Deshalb hat die Initiative nun Klage erhoben.

BBB: Was haben Sie an dem geplanten Neubau des Rathausanbaus zu kritisieren?
Dr. Boecken:
Die Bündelung der Servicedienstleistungen trifft nicht den Kern. Das brühl-info liegt zentral ideal. Es gibt keinen Grund, dies zu verlegen. Bei der Gebausie und den Stadtwerken verhält es sich ähnlich. Unter verkehrspolitischen Aspekten würde die Verlegung und Bündelung mehrerer öffentlicher Dienststellen die Situation in der Innenstadt verschärfen und zu einer zusätzlichen Belastung führen. Mein Eindruck ist, dass die Interessen der Bürger nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Hier wurde auf ein gewünschtes Ziel hingearbeitet. Die Darstellung der finanziellen Auswirkungen ist absolut unzureichend und irreführend. Das lässt sich auch nachweisen. Das hat mich geärgert. Die Information des Bürgers wurde meiner Meinung nach bewusst unterlassen.

BBB: Was befähigt Sie dazu, sich mit dem Zahlenwerk und den Berechnungen der Stadtverwaltung kritisch auseinander zu setzen?
Dr. Boecken:
Ich war 39 Jahre im Finanz- und Rechnungswesen in leitender Funktion tätig, ich glaube, dass ich das beurteilen kann. Es gibt viele offene Fragen. Die Zahlen sind unvollständig und teilweise falsch. Vieles ist definitiv nicht zutreffend. Tatsache ist, dass das Projekt mit Schulden finanziert werden soll. Die kleine Stadt Brühl ist bereits jetzt mit 80 Millionen Euro verschuldet, bis 2015 soll die Nettoverschuldung um 40 weitere Millionen erhöht werden. Das alles muss finanziert werden und belastet die zukünftigen Generationen. Wie soll das aus den laufenden Einnahmen gedeckt werden? Wegen der angespannten Haushaltslage wurde die Grundsteuer bereits angehoben. Es wird mit Zahlen gespielt etwa bei der Nutzungsdauer, bei der von 80 Jahren ausgegangen wird, das alte Rathaus aber bereits nach 47 Jahren abbruchreif sein soll. Das Bürgerbegehren darf keine falschen Angaben machen, konnte aber nur auf die Zahlen der Stadtverwaltung zurückgreifen, die unvollständig waren. Die einmaligen Kosten sollen sich auf Investitionen in Höhe von 11 Millionen Euro belaufen. Aber es entstehen auch wiederkehrende Kosten wie Zinskosten und Erhaltungsaufwendungen. Diese Zahlen wurden uns nicht genannt.

BBB: Wie geht es jetzt weiter?
Dr. Boecken:
Es laufen jetzt parallel zwei völlig unabhängige Verfahren. Zum einen die bei der Kommunalaufsicht eingereichte Beschwerde der Grünen und der Linken. Aber da entscheidet kein Richter. Das liegt jetzt bei der Bezirksregierung. Wir werden die Klage fortführen und wollen eine richterliche Entscheidung. Wir haben vor der Klageeinreichung vier Anwälte konsultiert, die uns – nach Analyse der Fakten – ermutigt haben, den Klageweg zu beschreiten.

BBB: Und was steckt nun hinter dem Bürgerrechtsforum und welche Ziele verfolgt der Verein?
Dr. Boecken:
Wir sind eine Anlaufstelle für Bürger, die glauben, dass ihre Interessen nicht richtig vertreten werden. Wir sind definitiv kein Kummerkasten. Wir wollen mit dem Bürgerrechtsforum Dinge weiterverfolgen. Wir sind nicht auf Konfrontation aus, sondern wollen einen sachlichen Dialog führen. Wir haben mitbekommen, dass das Interesse an einer solchen Plattform groß ist, von Seiten der Bürger genauso wie von Seiten der Geschäftsleute. Viele sind auch bereit, sich finanziell zu engagieren. Der Verein wird gemeinnützig und in der Lage sein, Spendengelder anzunehmen und Spendenquittungen auszustellen. Wir sind parteipolitisch völlig neutral und verfolgen nur Bürgerinteressen. Das Forum hat auch einen politischen Bildungsauftrag. Es soll dazu dienen, Bürger über ihre Rechte zu informieren. Das muss sich auch nicht unmittelbar auf die Kommune vor Ort beschränken, sondern kann auch überregional gelten. Wir haben uns nicht gegründet, um nur ein Projekt zu fördern. Das Forum soll Bestand haben. Ich bin sehr zuversichtlich, dass uns die Themen nicht ausgehen werden. So deutet sich das Einzelhandelskonzept für Brühl als nächstes Thema bereits an.

BBB: Welche Rückmeldungen haben Sie für Ihr Engagement bekommen?
Dr. Boecken:
Ich habe, bevor ich mich im Forum engagiert habe, einige Leserbriefe geschrieben und war überrascht, wie groß die Resonanz war. Ich wurde von vielen Menschen angesprochen und habe viel Zustimmung erfahren. Ich habe auch einen offenen Brief an den Bürgermeister geschrieben und auf eine Gesprächsbereitschaft gehofft. Ich habe keine Antwort darauf erhalten. Dennoch haben wir den Eindruck, dass auf Grund der Initiative das Bewusstsein der Ratsmitglieder für den Bürgerwillen sensibilisiert wurde.

 


Zur Person: Dr. Bernd Boecken war 39 Jahre im Finanz- und Rechnungswesen in leitender Funktion tätig. Zunächst bei Bayer in Deutschland, den USA und Argentinien, danach bei der Deutsche Post AG. Der 68-jährige Diplom-Kaufmann wohnt mit Unterbrechungen seit 34 Jahren in Brühl, ist verheiratet und hat drei Kinder. Im Bürgerrechtsforum hat er die Funktion des Schatzmeisters inne.

 

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