Jahrgang 2012
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„Wer etwas erreichen will, muss auf die Leute zugehen”
Die Stadt Brühl hat sich das Thema Integration schon lange auf die Fahnen geschrieben. Seit einigen Wochen ist Antje Cibura die neue Integrationsbeauftragte der Stadt Brühl, seit Anfang des Jahres gibt es zehn qualifizierte Integrationslotsen in der Schlossstadt. Und am Dienstag, den 8. Mai findet im Kaiserbahnhof ab 18.30 Uhr in der „Belle Etage“ die „3. Integrationskonferenz“ statt. Diese Veranstaltung markiert den Projektabschluss des Komm-in-Projektes „Brühl aktiv, interkulturelle Öffnung und Vielfalt in Ausbildung und Betrieb“. Was es mit all dem auf sich hat verrieten uns Alois Rampe, der Abteilungsleiter Soziales der Stadt Brühl, der Integrationslotse Marian Duda, der Restaurantbetreiber Kadir Korkmaz, die Trainee Necibe Özdogan sowie die Künstlerin Ute Remus im persönlichen Gespräch mit dem Brühler Bilderbogen.

Laut der statistischen Erhebung von 2010 leben in Brühl 46.412 Menschen, 5.311 von ihnen ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Der Ausländeranteil liegt demnach bei 11,3 Prozent. Knapp 2.000 Menschen davon stammen aus der Türkei, die beiden nächsten großen Bevölkerungsgruppen kommen aus Griechenland und Polen. Damit die Integration dieser Mitbürger noch besser gelingt, wurden bereits in der Vergangenheit zahlreiche Maßnahmen in die Wege geleitet.
Ganz aktuell hat die Stadt Brühl einen Flyer herausgegeben, in dem die zehn Integrationslotsen und ihre Tätigkeit vorgestellt werden. Nach einem intensiven Lehrgang haben die zehn ehrenamtlichen Helfer Ende des vergangenen Jahres ihre Prüfungen bestanden. Ihnen soll zukünftig eine wichtige Rolle zufallen. Die Integrationslotsen, die auch besondere Sprachkenntnisse in englisch, kiswahili, polnisch, russisch, türkisch und griechisch besitzen, sollen den Menschen mit Migrationshintergrund mit Rat und Tat zur Seite stehen.
„Dazu gehören die Begleitung bei Behördengängen, das Ausfüllen von Formularen, Vermittlungstätigkeiten u.a. in KiTas, Schulen, Behörden oder bei Ärzten, die Beratung in verschiedenen Lebenssituationen sowie die Informationsbeschaffung und Weitergabe zu verschiedenen Themen wie Bildung, Altersvorsorge oder Gesundheit“, erklärt Alois Rampe, um auch zu betonen: „Die Integrationslotsen sind aber nicht befähigt und berechtigt, die Probleme der Migranten zu lösen. Sie können lediglich unterstützen und dabei behilflich sein, die richtigen Wege und Schritte aufzuzeigen.“
Einer der neuen Integrationslotsen ist Marian Duda, der sich schon seit vielen Jahren mit sozialen Problemen beschäftigt, im Hürther Verein „Zusammenarbeit mit Osteuropa“ engagiert und auch als sachkundiger Bürger im Ausschuss für Soziales und Migration der Stadt Brühl sitzt. Der 62-jährige gebürtige Pole ist Diplom-Geograph, kam 1989 selbst als Spätaussiedler nach Deutschland und kennt viele der auftretenden Probleme aus eigener Erfahrung. „Ich bin ein offener Mensch und habe schon viele Leute bei Terminen begleitet“, sagt Marian Duda. Er hat selbst frühzeitig Sprachkurse besucht, Angebote angenommen und dabei viele Sachen gelernt. Jetzt hofft er, dass viele ausländische Mitbürger die Unterstützung der Integrationslotsen annehmen und die mit Ausnahme von Freitag jeden Wochentag angebotene Sprechstunde im Rathaus nutzen.
Im Rathaus wird auch Necibe Özdagon in den kommenden Wochen als Trainee Integrationsprojekte unterstützen und wichtige Informationsblätter übersetzen. Die gebürtige Essenerin lebt seit über 20 Jahren in Brühl. Im Jahr 2006 bestand sie am Max Ernst Gymnasium ihr Abitur und studierte danach in Bonn den Studiengang Türkisch und Arabisch im Rahmen der Islamwissenschaften. Vor wenigen Wochen schloss sie ihr Studium erfolgreich ab. „Ich lebe in dritter Generation in Deutschland und wurde von meinen Eltern immer gefördert. Mein Vater spricht perfekt deutsch und hat frühzeitig die Wichtigkeit der Sprache und Bildung erkannt“, meint Necibe Özdogan. Doch das ist auch heute noch eher die Ausnahme. In ihrem Abiturjahrgang gab es neben ihr nur einen weiteren türkischen Mitschüler.



Nachteile für Migrantenkinder
Immer noch besuchen 52,8 Prozent der Migrantenkinder die Hauptschule, 18,3 Prozent die Realschule, 9,9 Prozent die Gesamtschule und nur 7,5 Prozent das Gymnasium. „In wissenschaftlichen Studien wurden die Zahlen analysiert und die Lehrer dazu befragt, die nach der Grundschule die Empfehlungen für die weiterführenden Schulen aussprechen“, berichtet Alois Rampe. „Oftmals fallen die Bewertungen bei ausländischen Kindern schlechter aus als bei gleich guten deutschen, weil sie den Ausländerkindern höhere schulische Leistungen nicht zutrauen und sie schützen wollen.“ Im Zweifelsfall landen diese Kinder dann nicht in der höheren Schule. Das muss aber nicht sein.
Daher appelliert Marian Duda an die Migranten, am städtischen Gemeinschaftsleben teilzunehmen und die deutsche Sprache zu lernen. Er kennt die Gruppe der Polen und Russen und weiß um das teilweise schlechte Image. „Parkplatzwächter werden russische Jugendliche genannt, die ihre Freizeit auf Parkplätzen verbringen“, sagt Duda. „Gerade die Jugendlichen haben es oft schwer, weil es nicht ihre Entscheidung war, nach Deutschland zu kommen, sondern die ihrer Eltern. Sie wurden dann aus ihrem sozialen Umfeld und Freundeskreis herausgerissen und müssen sich nun neu zurechtfinden.“ Dabei treten Probleme auf.
Ein Beispiel für eine gelungene Integration ist die Geschichte von Kadir Korkmaz. Er stellte 1992 seinen Asylantrag in Deutschland. Er stammt aus Tunceni, einer Stadt aus dem kurdischen Teil der Türkei, und hat den mühsamen Anpassungsprozess durchgemacht, der einen in einer anderen Kultur erwartet. Drei Jahre lebte er in einem Asylantenwohnheim auf engstem Raum mit vielen anderen Menschen zusammen. Eine Arbeit durfte er nicht annehmen, einen Sprachkurs besuchte er zunächst nicht. „Ich hatte viele Schwierigkeiten“, erinnert sich Kadir Korkmaz. „Ich war ein Teil in einer anderen Gesellschaft und hatte ganz andere Vorstellungen. Aber nach und nach lernte ich dazu. Ich habe viele Leute kennengelernt und von anderen Kulturen gelernt. Ich habe von deutschen Freunden viel Hilfe bekommen, als ich arbeitslos war und kein Geld besaß.“
Der Lernprozess hat ihn reifen und toleranter werden lassen. „Es kommt nicht auf die Religion oder die Kultur an. Ein Mensch kann viel schaffen und etwas verändern“, sagt er. „Jeder hat seinen Traum.“ In der Türkei führte er ein Café. Die Gastronomie machte ihm Spaß. Dann ergab sich in Brühl eine Gelegenheit. Er übernahm im Jahr 2007 auf der Uhlstraße das Restaurant Ocakbasi von Riza Hanay, bei dem er schon zuvor gearbeitet und viel gelernt hatte. „Ich hatte Mut aber kein Geld“, weiß Kadir Korkmaz noch heute. Er ging das Risiko, es lohnte sich.

Regelmäßige Kulturabende im Restaurant Ocakbasi
In dieser Zeit half ihm Ute Remus viel. Sie wurde zu einer Freundin, die ihn auch heute noch unterstützt. Denn Kadir Korkmaz veranstaltet inzwischen in seinem Lokal mehrmals im Jahr Kulturabende. Bei der Programmgestaltung gibt sie viele Tipps und spricht Künstler an. „Wir wollen den Menschen unterschiedliche Kulturen näherbringen“, sagt Ute Remus, die vor Jahren auch im Vorstand des Brühler Kunstvereins aktiv war. „Dichter, Schriftsteller, Maler. Es sind lebendige Abende mit Sehnsucht und Träumen. Der Reiz ist der Austausch der Kulturen.“
Kadir Korkmaz will inzwischen nicht mehr weg aus Deutschland. Er besitzt einen deutschen Pass, hat Goethe gelesen und die deutschen Angewohnheiten lieb gewonnen. „Die Deutschen sind sehr pünktlich“, sagt er schmunzelnd. Und: „Wenn ein Deutsche ja sagt, meint er ja. Und ein Nein ist ein Nein.“
Umgekehrt haben auch die Mitarbeiter der Stadtverwaltung in den vergangenen Jahren dazugelernt. „Briefe schreiben, bringt nicht so viel“, hat Alois Rampe erkannt. „Wichtiger ist eine persönliche Ansprache. Dann bekommt man Feedback, sonst eher nicht. Darauf müssen wir uns einlassen, wenn wir etwas erreichen wollen. Und Kontakte müssen gepflegt werden.“
Am 8. Mai findet nun die große Abschlussveranstaltung des aktuellen Integrationsprojektes im Kaiserbahnhof statt. Es geht um „Migrantenökonomie in Brühl“. Die Wirtschaftskraft der Migranten soll stärker genutzt werden. Experten werden zu Wort kommen, Konzepte vorgestellt. Kadir Korkmaz wird von seinen Erfahrungen berichten, eine Diskussion wird den Abend beschließen. Weitere Infos gibt es unter www.integration.bruehl.de


Tobias Gonscherowski

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