Am 16. März kam Deutschland weitgehend zum Stillstand. Bund und Länder hatten wegen der sich rasant ausbreitenden Corona-Pandemie den Lockdown beschlossen. Kindergärten, Schulen und Universitäten wurden geschlossen, fast alle Geschäfte machten dicht, alle Veranstaltungen wurden abgesagt. Das öffentliche Leben kam zum Stillstand, strenge Kontaktregeln galten. Ab Mitte Mai erfolgten dann die ersten Lockerungen der strengen Bestimmungen. Inzwischen hat sich vieles wieder einigermaßen normalisiert, aber längst noch nicht alles. Exakt 100 Tage nach dem Lockdown hat Bürgermeister Dieter Freytag im persönlichen Gespräch mit dem Brühler Bürgerbogen Bilanz gezogen.
„Im Ergebnis sind wir in Brühl und Deutschland insgesamt bisher sehr gut durch die Krise gekommen”, sagt Dieter Freytag. „Wir kennen die internationalen Zahlen. Wenn man auf die 100 Tage zurückguckt, erinnern wir uns daran, dass das damals Prägende die allgemeine Verunsicherung war. Wir waren mehr oder weniger abhängig von der Meinung einiger bekannter Virologen. Ob das aber alles stimmte, was die sagten, wussten wir nicht.”
Kurz vorher wurde in Brühl noch ganz normal und weitgehend unbeschwert Karneval gefeiert. „Man war getragen von dem Gedanken: 'Wir gucken mal, wo wir handeln müssen, aber im Grunde lassen wir es weiterlaufen wie bisher.' Dann kam der Lockdown, der problematisch war”, so der Bürgermeister. „Aber wir waren ganz gut vorbereitet. Wir hatten schon Ende Februar einen Krisenstab eingerichtet. Wir haben die Kommunikationsstrukturen zum Kreis und zum Gesundheitsamt aufgebaut.”
Das Corona-Virus breitete sich auch in Brühl aus. Die höchsten Fallzahlen waren in den ersten beiden April-Wochen zu verzeichnen. „Um den 8. April hatten wir die Spitzenwerte mit 56 infizierten Fällen und einer deutlich höheren Zahl an Quarantänefällen. Dann kamen leider auch die ersten Todesfälle”, berichtet Dieter Freytag. Bis heute sind 13 Menschen in Brühl mit COVID19 verstorben, ausschließlich ältere Menschen, das „jüngste” Opfer war 72 Jahre alt. „Die Zahlen gingen dann sukzessive zurück bis auf den einen Vorfall im Marienhospital. Wir sind jetzt seit etlichen Tagen bei null Infizierten. Teilweise hatten wir auch null Personen in Quarantäne“. In Brühl haben wir aktuell (Stand 25. Juni) zwei, im ganzen Rhein-Erft-Kreis 14 Fälle.
„Großes Verständnis der Bevölkerung”
Nach dem Lockdown konzentrierte sich die Stadtverwaltung vor allem auf zwei Bereiche: den ordnungsrechtlichen Bereich und die Organisation der Hilfe für die von der geltenden Corona-Schutzverordnung betroffenen Menschen. „Wir haben sehr schnell gemerkt, dass der ordnungsrechtliche Teil ganz gut zu bewältigen war. Auch getragen von einem sehr großen Verständnis der Bevölkerung, der Einzelhändler und Gastronomen”, meint Dieter Freytag. „Das war ein gesellschaftlicher Akt, der die Reife dieser Stadtgesellschaft durchaus geprägt hat. Nicht nur in Brühl. Viele Menschen haben Verantwortung übernommen und Rücksicht walten lassen. Der schwierige Teil war: Wie kann man gegensteuern, wie kann man den Leuten helfen? Vielen wurde der Boden unter den Füßen weggezogen. Ob das Betreibende eines Gastronomiebetriebes waren, Einzelhandel-Inhabende, Kunstschaffende, Veranstaltende oder viele mehr. Da ist zum Glück sehr schnell in Berlin und Düsseldorf gehandelt worden.”
Nach der sukzessiven Lockerung ist es nun für die handelnden Personen der Politik schwieriger geworden, die verschiedenen Entscheidungen zu begründen. „Man kann schnell zumachen”, weiß der Bürgermeister. „Das betrifft dann alle. Da sind das Prinzip der Gleichheit und der Gesundheitsschutz gewahrt. Da fragt man nicht nach Widersprüchen. Aber jetzt kommen die Fragen: Warum dürfen die Friseure öffnen, aber Kosmetikstudios nicht? Warum dürfen Schwimmer Bahnen schwimmen, aber keine Rheumagruppe ins Bewegungsbad? Da wird es immer Widersprüche geben. Hoffen wir, dass wir den Weg, der bislang weitgehend von Verständnis getragen wurde, weitergehen können.”
Problematisch war vor allem hier und da die Durchsetzung der Betretungsverbote auf Spielplätzen. Da stieß man nicht immer auf Verständnis. Ein heikles Thema war auch der Beschluss, den Rundweg um den Heider Bergsee zur Einbahnstraße zu deklarieren. „Da haben wir gemerkt, dass die Stimmung ein bisschen kippt”, wundert sich Freytag. „Dafür hatte ich wenig Verständnis, weil ich die Einschränkungen nicht gesehen habe. Aber es hatte wohl mehr eine psychologische Bedeutung, weil die Leute sich offenbar zu sehr bevormundet fühlten. Ich habe es mehr von der praktischen Seite gesehen und fand es einen guten Vorschlag.”
Zeichen des Entgegenkommens
Trotz strenger Vorgaben übergeordneter Behörden gab es für die Brühler Stadtverwaltung auch einen gewissen Handlungsspielraum für eigenständige Entscheidungen. So wurden Kindergartenbeiträge erlassen, ebenso das Essensgeld, die OGS-Beiträge oder die Kosten für Betreuungsmaßnahmen. Auch wurde auf eine Erhebung von Sondernutzungsgebühren für die Außengastronomie und für die Reiter und Verkaufsflächen der Einzelhändler verzichtet. Anträge zur Gewerbe- und zur Grundsteuerstundung wurden „bereitwillig akzeptiert”. „Das sind keine Summen, mit denen wir den Einzelhandel retten. Aber es kommt bei Leuten schon als ein Zeichen an, dass man ihnen entgegenkommt”, sagt Dieter Freytag. „Das waren alles unsere Entscheidungen."
Für die städtische Kasse sind das mit Ausnahme des Steuerbereiches eher kleinere Beträge. Entscheidend für die finanzielle Situation aber werden die zu erwartenden Steuerausfälle sein. Nach dem vorläufigen Bericht des Kämmerers ist aktuell eine Größenordnung von sechs Millionen Euro Minderung zu erwarten. „Aber es wird eher in Richtung zehn Millionen Euro in diesem Jahr gehen”, glaubt Freytag. „Ob wir damit schon das Ende der Fahnenstange erreicht haben, weiß ich nicht. Ich bin eher skeptisch, ich kann mir vorstellen, dass es noch schlimmer wird.”
Das sind keine guten Aussichten für die Schlossstadt, aber auch für alle anderen Städte und Gemeinden in Deutschland. Die Zeit einer Krise bietet den Personen in Verantwortung auch immer die Chance, das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen, erforderliche Maßnahmen zu begründen, Überzeugungsarbeit zu leisten und für die Bürger einfach dazusein. Dem Brühler Bürgermeister ist das sehr gut gelungen. Schon sehr früh hat Dieter Freytag die sozialen Medien geschickt eingebunden, um mit großer Transparenz über die Entwicklungen zu berichten. Immer wieder veranstaltete er bei Facebook Chats, um Bürgerfragen zu beantworten. Ebenso posteten er und sein Team regelmäßig Videos mit erläuternden Updates der Corona-Schutzverordnung.
„Wir wurden als Dienstleister wahrgenommen”
Mit den Erfahrungen der ersten Übertragungen rückte sich der populäre Bürgermeister auch optisch besser ins Bild. Ganz am Anfang fläzte er sich noch breitbeinig in den Sessel und wurde beinahe von unten gefilmt. Darüber kann Dieter Freytag heute lachen. „Mir war das gar nicht bewusst”, sagt er. „Aber meine Auftritte in den sozialen Medien wurden nicht von einem Werbeprofi in einem Filmstudio gemacht, sondern mit Bordmitteln unserer engagierten Kolleginnen und Kollegen.”
Wichtiger aber als die Optik, die zumindest aber auch zeigte, dass der Bürgermeister alles andere als eitel ist, war die Möglichkeit, mit vergleichsweise einfachen Mitteln eine große Öffentlichkeit zu erreichen und drängende Fragen der Bürgerinnen und Bürger kompetent zu beantworten. „Wir hatten in der Spitze über 30.000 Abrufe. So schnell und gezielt erreicht man die Leute sonst nicht. Aber Corona betraf und betrifft ja alle. Es war auch eine vierstellige Zahl an Leuten direkt dabei, die sich auch gerade bei Facebook beteiligt haben. Wir wurden als Verwaltung auch als Dienstleister wahrgenommen”, freut sich der Bürgermeister. Das dürfte auch seine Chancen auf eine Wiederwahl im September ganz sicher nicht schmälern.
Er selbst hat in den vergangenen Monaten täglich in seinem Büro im Rathaus gearbeitet. Seine engsten Mitarbeiterinnen waren im Schichtdienst abwechselnd vor Ort. Die Arbeit wurde nicht weniger, dafür verbrachte Dieter Freytag die Wochenenden weitaus mehr zuhause als sonst, da es keine öffentlichen Termine wahrzunehmen galt.
Das soll sich bald wieder ändern. Auch erste Kulturveranstaltungen werden wieder stattfinden wie etwa einige Aufführungen der Figuren Theatertage. Weitere auch von privaten Initiatoren werden folgen. Es sind weitere Schritte zurück zu mehr Normalität. Und das ist gut so.
Tobias Gonscherowski