Als ich vom Tod von Michael Jackson erfuhr, dachte ich spontan: „Vielleicht genau der richtige Zeitpunkt, um tatsächlich der unsterbliche King of Pop zu werden“. Dieser Gedanke klingt sehr zynisch, aber wer die letzten Jahre von Michael Jackson in den Medien rund um die Welt verfolgte, konnte eigentlich nur ein Gefühl gegenüber diesem Menschen aufbringen: Mitleid.
Kurz nach seinem Tod kamen in den Medien nun alle zu Wort, die ihm angeblich nahe standen, für ihn gearbeitet haben oder zu seinem Familienclan zählen. Jeder konnte einmal in den hellen Schein des Weltstars treten, der von den Medien über Jahre hinaus systematisch abgeschlachtet, besser ausgeschlachtet, worden ist. Michael Jackson ernährte mit seinem schrillen Lebenswandel vielleicht Tausende von Paparazzos und Yellow-Press-Schreiberlinge rund um den ganzen Globus. Es ist nun die Frage, wie so eine Medienhetze entstehen konnte und wie weit Michael Jackson dieses Spektakel um seine Person selbst inszeniert und forciert hat. Erschreckend dabei ist, dass jedes Gerücht um Michael Jackson weltweit, über alle kulturellen und politischen Grenzen hinweg, bestens vermarktet werden konnte. Ob Amerika, Europa oder Asien: Überall fanden die unglaublichsten Stories und geschmacklosen Sensationsfotos des Megastars reißenden Absatz. Worin liegt die Motivation der Masse, diese aberwitzigen Medienkampagnen, etwa durch den Kauf von Zeitungen, zu unterstützen? Ist es vielleicht das urmenschliche Gefühl des Neides, das die Welt umspannt?Michael Jackson zählte als Sänger und Entertainer unbestritten zu den Jahrhunderttalenten des Showbusiness. Er war zu besten Zeiten so vermögend, dass er sich alles Materielle, was er wollte, kaufen konnte. Er entrückte mit seinem exzentrischen Lebensstil, aus welchen Gründen auch immer, der Realwelt. So konnte dann jeder Fan auch genau beobachten, wohin das teuer verdiente Geld seines Platten- oder CD-Kaufs hinwanderte. Sicher führten die Extravaganzen des Michael Jackson, ob Luxusanwesen inklusive Zoo, hauseigenen Vergnügungspark oder seine berüchtigten Shoppingtouren auch zu Hass und kategorischer Ablehnung in der breiten Öffentlichkeit. Es wird immer die Frage bleiben, ob sich ein Megastar darüber bewusst ist, dass er Teil eines Systems ist, das ihn auf der einen Seite unfassbar reich machen kann und das ihn auf der anderen Seite gleichzeitig zum Freiwild für die übermächtige Medienwelt erklärt. Hat Michael Jackson tatsächlich Geld als Künstler verdient oder jahrelang nur Schmerzensgeld bezogen?
Jeder kann sich nun selbst die Frage beantworten, ob er Michael Jackson in diesem Jahr gern auf „Comeback-Tour“ gesehen hätte. Ein triumphaler Erfolg schien höchst fraglich. So bleiben jetzt nur die Erinnerungen an das Phänomen Michael Jackson in der eigenen Jugend und als junger Erwachsener. Es gab selten eine Party, bei der nicht eines seiner Lieder das „Tanzparkett“ im Partykeller oder Wohnzimmer eröffnete.
Mein persönlich größtes und beeindruckendstes Erlebnis mit Michael Jackson ist mit einem Konzertbesuch der „Dangerous-Tour“ im Jahr 1992 in Ludwigshafen verbunden (ein Konzert aus dieser Konzertreihe sendete die ARD am Todestag). Ich war 27 Jahre alt und in dem Unternehmen, in dem ich in Köln arbeitete, sollten vier Freikarten für das Open-Air-Konzert verschenkt werden. Das Unglaubliche daran: Keiner meiner Arbeitskollegen und Kolleginnen zwischen 20 und 40 Lebensjahren wollte diese Karten haben. Sicher lag es an der Entfernung, der längeren Autofahrt, aber auch an dem nervenden, allgegenwärtigen Teenie-Star-Rummel, der meine werte Kollegen davon abhielt, in Begeisterungsstürme auszubrechen. Es kostete mich dann auch alle Mühe, die Karten im privaten Freundeskreis als Gratis-Geschenk an den Mann zu bringen. Schließlich fuhren nur, vielleicht auch aus Mitleid für meine Bemühungen, mein Bruder und einer meiner besten Freunde mit. Die vierte Eintrittskarte verkauften wir dann schließlich für fast 100 DM vor dem Stadion. Somit waren die Spritkosten und ein üppiges amerikanisches Fastfood-Essen locker finanziert.
Um es kurz zu machen: Die Stimmung vor Konzertbeginn im Stadion hatte einen fast religiösen Charakter, ähnlich der Stimmung des katholischen Weltjugendtags in Köln, als der gegenwärtige Papst mittels Schiff an den Menschenmassen am Rheinufer vorbeischipperte. Fast stundenlange „Michael, Michael“-Sprechchöre konfrontierten unseren kleinen Trupp mit zwiespältigen Gefühlen. Schließlich zählten wir bereits zur „alten Garde“ der Konzertbesucher, die mit Skepsis die Sangeskunst des Megastars erwartete. Völlig zu unrecht....
Was Michael Jackson als Sänger und Tänzer ablieferte, war das Beste, was ich jemals gesehen habe. Bis zum heutigen Tage. Wir sahen eine perfekte, atemberaubende Bühnenshow mit angsteinflößender Pyrotechnik, spektakuläre Tanzeinlagen, höchst unterhaltsamen Videoclips auf riesigen Leinwänden und eine Live-Band mit Weltformat. Michael Jackson feuerte stimmgewaltig ein Feuerwerk seiner größten Hits ab. Playbacks konnte man gänzlich ausschließen, denn er variierte seinen Live-Gesang innerhalb der Songs gegenüber denen der CD-Fassungen.
Während der mehr als zweistündigen Show gönnte er sich selbst und dem Publikum kaum eine Atempause. Er stand in diesen Jahren aller Wahrscheinlichkeit nach im Zenit seines künstlerischen Schaffens und verfügte auch über die körperliche Energie, um so eine überwältigende Bühnenshow innerhalb dieser Welttournee Abend für Abend abzuliefern.
Diese Konzerterlebnis habe ich auch nach mehr als 17 Jahren nicht vergessen und konnte mich während der ARD-Übertragung wieder bestens an kleine Details des Konzertes zurückerinnern.
So wie ich wird jeder seine Erinnerungen an Michael Jackson und besonders seine Lieder mit ganz persönlichen Erlebnissen verbinden. Wie bedeutend der Künstler für die Musikwelt der letzten Jahrzehnte sein wird, kann man erst in Jahren ermessen. Der wahre Kult um seine Person hat gerade erst begonnen.
Alexander Gonscherowski