Jahrgang 2005
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Ende der sechziger Jahre äußerte sich Max Ernst in einem Gespräch mit dem Schriftsteller Robert Lebel über seine Karriere als Künstler: Fünfzig Jahre lang war ich ärgsten Schwierigkeiten ausgesetzt, habe ohne es zu wollen die Sammler bereichert, ohne es zu bereuen die Händler und ohne es zu ahnen drei verschiedene nationale Kulturen“. Nun endlich ist es mir vergönnt, meine letzten Jahre unbehelligt von Nervensägen zu leben, und man verleiht mir, ohne dass ich darum gebeten hätte, ein biss-chen Lametta, das mir herzlich schnuppe ist – und so was nennt man dann Erfolg.“

 

Der Rückblick des in Deutschland geborenen Künstlers, der 1948 die amerikanische und 1958 die französische Staatsbürgerschaft annahm, fixiert den Beginn eines unruhigen und schwierigen Lebens auf die Zeit des dadaistischen Aufbruchs nach dem Ersten Weltkrieg. Viele Künstler hatten damals für die Kultur neue Perspektiven eröffnet. Max Ernst selbst hatte mit seiner indirekten Vorgehensweise, mit seinem Hineinsehen und Ausdeuten, die Identität der Dinge aufgehoben und poetisch erweitert.

Gesichter mit verschiedener Mimik

Der Rückblick ist mit einem Ausblick auf die letzten Lebensjahre, auf Bekanntheit und Ehrungen verbunden. Das Thema des Todes, das während der amerikanischen Exilzeit von Max Ernst in den Maskenfriesen von Sedona, Arizona, Eingang ins plastische Werk gefunden hatte, tauchte 1973, drei Jahre vor dem Tod des Künstlers, erneut auf. Ausgangspunkt für das Totem“ von Max Ernst ist ein einfacher mathematischer Körper, der Zylinder, der bereits in den Holzassemblagen, Übermalungen, Collagen und Graphiken der Kölner Dada-Zeit zu finden ist. Der Künstler verwandelte die vertikal langgezogene und runde, aber ansonsten neutrale Form durch horizontale und diagonale Einschnitte sowie durch kreisrunde Bohrungen in Gesichter mit verschiedener Mimik.

Die Ausgangsform ist durch eine Ausdrucksform ergänzt, die an indianische Totempfähle der Nordwestküste erinnert. Max Ernst besaß zwei dieser Kultgegenstände in seiner umfangreichen Sammlung. Hatten die Indianer hockende Ahnen in Tier- oder Menschengestalt übereinander angeordnet, so ist das Totem“ von Max Ernst zwar auch additiv aufgebaut, aber auf zwei Tiere konzentriert, die in der Nacht sehen können. Der geschwungene Körper einer Eule beherrscht den unteren Teil, während dem Kopf einer Katze mit spitzen Ohren der obere Platz vorbehalten ist. Die Auswahl der Tiere weist auf ihre Fähigkeit hin, in der Nacht sehen zu können. Die Emblemsäule von Max Ernst behandelt also nicht nur den Tod, sondern auch das Sehen. Die Seitenansicht verdeutlicht die Körperkonturen und besonders die Augenlöcher, die als Durchbohrungen der Form angelegt sind. Die Fähigkeit des Sehens hat durch den Tod ein Ende gefunden und wird nun als ein totes Sehen präsentiert.

Dr. Jürgen Pech

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