Jahrgang 2005
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Zu: Dorothea Tanning, Oiseaux en péril (Vögel in Gefahr)

Die Mappe Oiseaux en péril“ (Vögel in Gefahr) kann als graphisches Vermächtnis von Max Ernst verstanden werden. Die großformatigen Farbradierungen entstanden für ein Gemeinschaftswerk des Künstlerpaares: Dorothea Tanning, seit ihrer Jugend der Literatur zugetan, schrieb acht Gedichte in französischer Sprache; Max Ernst steuerte acht Vignetten sowie acht Farbradierungen bei. Die Kreisform, die in den letzten Graphiken des Werkes eine dominierende Bedeutung erhält, ist auch hier zu finden: in jede Farbradierung der Mappe wurde ein kreisrundes, in schwarz gedrucktes Klischeebild eingeklebt.

Als Collageelemente stellen sie formal eine fremde Realität dar, die inhaltlich verstärkt wird. Spitze Gegenstände, Schusswaffen, Ungeziefer signalisieren eine Welt der Gewalt und Bedrohung, die auch in die Gedichte eindringt. Während in den ersten sieben Graphiken jeweils Vogelpaare zu sehen sind, taucht im letzten Blatt ein einzelner, junger Vogel auf, der mit großem Auge in die Zukunft blickt: Freiheit, aber auch der Tod stehen ihm bevor. Wie bei den Vogelpaaren der anderen Blätter vereinfachte Max Ernst auch bei seinem Vogel der Zukunft die Formen; sein Körper, der Kopf, der Schnabel und das Auge sind auf klare Umrisslinien konzentriert, wobei das gelb leuchtende, sehende Auge die klare Kreisform wiederholt.

 

Eine poetische Huldigung

Max Ernst starb am 1. April 1976 in der Nacht vor seinem 85. Geburtstag. Im Jahr zuvor hatte er für die große Retrospektive, die von Mai bis August 1975 in der Pariser Nationalgalerie im Grand Palais sein Lebenswerk in großem Umfang ausbreitete, zum letzten Mal seine biographischen Notizen ergänzt. An den Schluss seiner Rückerinnerungen setzte er eine letzte Frage“, in die er ein Zitat der poetischen Huldigung von 1928 einbaute:

Max Ernst gestattet sich seinen strengen Lesern und sanften Leserinnen die Frage zu stellen, ob er die schmeichelhafte Benennung verdient, die ihm einer der größten (und verkanntesten) Dichter unserer Zeit (René Crevel) angeboten hat: Der Zauberer der kaum spürbaren Verrückungen.

Dr. Jürgen Pech

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