Jahrgang 2005
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"Familienfreundlichkeit ist heute ein knallharter Standortfaktor"
 
Begleitet von einem bunten Straßenfest fand kürzlich im Brühler Rathaus die Gründungsveranstaltung "Brühler Bündnis für Familien" statt. Ziel des Bündnisses ist es, ein Klima in der Schlossstadt zu schaffen, das Familien anspricht und fördert. "Wir müssen uns bemühen, junge Familien in Brühl anzusiedeln", sagt Karin Joswig-von Bothmer, die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Brühl und Bündniskoordinatorin. Diese Meinung teilen auch alle politischen Parteien in Brühl, die das Projekt einstimmig unterstützten.
 
"Alle Städte und Gemeinden in Deutschland stehen vor dem gleichen demographischen Problem", berichtet Karin Joswig-von Bothmer. "Die Menschen werden immer älter. Aber es gibt immer weniger Frauen und Männer, die sich für Kinder entscheiden. Wir verzeichnen nach wie vor einen Rückgang an Geburten. Und wir haben viele Menschen mit einem Migrationshintergrund. Um deren Integration und das Zusammenleben aller Generationen erfolgreich zu gestalten, bedarf es der geeigneten Rahmenbedingungen." Wegen dieser "dramatischen Situation" stehen alle Kommunen in einem Wettbewerb miteinander. "Familienfreundlichkeit ist heute ein knallharter Standortfaktor. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns in Brühl nicht auf den bestehenden guten Voraussetzungen ausruhen, sondern immer offen dafür sind, was wir noch besser machen können", so Karin Joswig-von Bothmer. "Ein gutes und flexibles Betreuungsangebot für Kinder, Einkaufs- und Freizeitmöglichkeiten für Familien erleichtern auch den Unternehmen das "Ja" zum Standort und die Entscheidung, sich hier nieder zu lassen."
 
Die Gründungsveranstaltung war so angelegt, dass es kein feierlicher Akt nur mit schönen Reden werden sollte, sondern ein Treffen, bei dem es bereits auch um konkrete Sachthemen ging. Nach dem einführenden Referat "Familienfreundlichkeit rechnet sich" von Dr. Axel Seidel von der Prognos AG in Düsseldorf trafen sich interessierte Menschen in vier Foren zu verschiedenen Themen. Ziel in den Foren war es, in kurzer Zeit die wichtigste Aufgabe zu definieren, die im Rahmen des Forums angegangen werden soll. Im Forum "Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Kinderbetreuung: bildungsorientiert, flexibel und bedarfsorientiert" einigten sich die Teilnehmer zum Beispiel darauf, dass die "Flexibilisierung von Betreuungszeit in Kindertagesstätten und Ganztagsschulen quantitativ und qualitativ" ganz oben auf der Prioritätenliste stehen müsse. Wie diese aussehen können, wird beim nächsten Treffen des von Susanne Hempel moderierten Forums am 15. November (18 Uhr im Rathaus) erörtert.
 
Erste Ergebnisse in den Foren
 
Auch in den anderen Gesprächskreisen gab es erste Ergebnisse. Im Forum "Herausforderung Integration - der interkulturelle Dialog muss sein" kamen die Teilnehmer überein, dass "Maßnahmen zur Sprachförderung" das drängendste Thema sei. Das nächste Treffen - voraussichtlich im Dezember - des von Dr. Mittelstedt von der VHS Rhein/Erft geleiteten Forums wird sich diesem Thema widmen. Mit "Familienfreundlichkeit in Unternehmen und im Einzelhandel - Erfolgsfaktoren für die Stadt" befasste sich die dritte Gruppe, die von Oliver Mülhens von der Stadt Brühl moderiert wurde. Sie suchen demnächst nach dem "Aufbau von Strukturen zur besseren Abstimmung und Vernetzung". Auch Karin Joswig-von Bothmer übernahm als Moderatorin ein Forum. Über "Verantwortung für einander übernehmen - Das Zusammenleben der Generationen" wurde beraten, eine "Mehr-Generationen-Siedlung in zentraler Lage" soll konzipiert werden.
 
"Diese Gründungsveranstaltung ist der Start eines Prozesses. Aus den weiteren Gesprächen und Bedürfnissen soll sich dann die eigentliche Arbeit des Bündnisses entwickeln", hofft die Bündniskoordinatorin. Der Anfang war sehr ermutigend. Über 65 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens waren gekommen, ein ausgewogener Mix aus Handel, sozialen Trägern, Privatpersonen und Politik. Sie alle wollen und können Einfluss nehmen auf die weitere Gestaltung. Aber auch alle Interessierten, die bei der Gründungsveranstaltung nicht dabei waren, können sich gerne noch einbringen.
 
Familienfreundlichkeit rechnet sich
 
Die Idee der "Lokalen Bündnisse für die Familie" geht auf eine Initiative der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Renate Schmidt (SPD), zurück, die sagt: "Es wächst ein breiter gesellschaftlicher Konsens, dass wir eine bessere Balance von Familie und Erwerbsarbeit brauchen. Bleibt es bei der niedrigen Erwerbstätigkeitsquote von Frauen, werden unsere Unternehmen in absehbarer Zeit große Probleme bekommen, qualifizierte Arbeitskräfte zu rekrutieren aber auch, eine ausreichende Zahl von Kunden für ihre Produkte und Dienstleistungen zu erhalten."
 
Untersuchungen der Prognos AG belegen, dass es sich für Unternehmen durchaus rechnet, familienfreundliche Arbeitsbedingungen zu schaffen. Der Referent Dr. Axel Seidel konnte dies mit Beispielen belegen. "Betriebliche Investitionen in familienfreundliche Maßnahmen bringen bis zu 25 Prozent Rendite", behauptete der Wissenschaftler. Davon profitieren auch die Kommunen dank steigender Steuereinnahmen und der Erhöhung ihrer Attraktivität als Wirtschaftsstandort. Andererseits entsteht ein volkswirtschaftlicher Schaden, wenn gut ausgebildete Frauen eine dreijährige Erziehungsauszeit nehmen. "Dieses Know-how liegt dann brach", sagt Karin Joswig-von Bothmer.
 

 
Die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Brühl kann als Bündniskoordinatorin auch Themen auf die Agenda bringen, die ihr selbst sehr am Herzen liegen. Wie die Idee einer "Mehr-Generationen-Siedlung" als Form moderner Nachbarschaftshilfe. "Es wäre doch wunderbar, wenn man dieses Potenzial gegenseitig nutzen könnte", meint sie. "Auf der einen Seite die Senioren, die gelegentlich jüngeren Familien bei der Kinderbetreuung behilflich sein könnten. Und auf der anderen Seite die jungen Leute, die den älteren beschwerliche Einkäufe abnehmen könnten. Das wäre doch eine Bereicherung. Es gibt Beispiele von Städten im Ruhrgebiet, wo solche Siedlungen verwirklicht wurden."
 
Austausch innovativer Ideen
 
Karin Joswig-von Bothmer arbeitet inzwischen seit über neun Jahren als Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte bei der Stadt Brühl und zieht ein positives Fazit dieser Zeit. "Die Akzeptanz ist ausgeprägter als am Anfang", sagt sie. "Anders als in anderen Städten werde ich als Gleichstellungsbeauftragte in allen Fragen einbezogen. Ich muss Informationen nicht hinterher laufen. Sicherlich ist schwieriger geworden, Frauenprojekte zu realisieren, wenn die Kommunen weniger Geld zur Verfügung haben. Ich hätte gern gesehen, wenn wir in Brühl eine Beratungsstelle für Frauen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt waren, bekommen hätten. Aber das hat leider nicht geklappt." Ihr Job macht der 58-Jährigen weiterhin Spaß und lässt ihr angesichts einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden auch noch die Gelegenheit, einen Second-Hand-Laden zu betreiben. Die verheiratete Mutter einer 19-jährigen Tochter liest in ihrer Freizeit am liebsten Frauenkrimis, geht gerne mit ihren beiden Hunden spazieren und bewegt regelmäßig ihre beiden Pferde. Sie weiß aus eigener Erfahrung, wovon sie spricht, wenn es um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht.
 
"Das Brühler Bündnis für Familien bringt viele Menschen mit unterschiedlichen Blickwinkeln, Kompetenzen und Know-how an einen Tisch", beschreibt Karin Joswig-von Bothmer abschließend die Erwartungen an das neu gegründete Bündnis. "Die Arbeit kann auf viele Schultern verteilt werden, der gemeinsame Austausch fördert die Entste-hung innovativer und kreativer Ideen und Lösungen für das Leben der Familie in der Kommune."
 
Tobias Gonscherowski
 

 

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