Jahrgang 2006
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Im persönlichen Gespräch: Margarethe Hoffmann, Birgit Meyer, Regine Möws und Jochen Ott vom Lehrerkollegium der Gesamtschule Brühl


Die Schule hat die Aufgabe, die Idee Europa zu transportieren“ Manchmal haben die Bürokraten in Brüssel ja auch gute Ideen. Das Comenius-Schulprojekt“ gehört sicher dazu. Dieses Programm fördert mit finanziellen Zuschüssen u.a. Schulpartnerschaften zwischen Schulen innerhalb Europas. Die Gesamtschule Brühl beteiligt sich daran und ist Partnerschaften mit Schulen in Newton Aycliffe (England), Kunice (Polen) und Limoges (Frankreich) eingegangen. Die vier Schulen haben es sich zur Aufgabe gemacht, gemeinsam unter dem Motto Dreams and reality of living together in Europe“ ein Zugehörigkeitsgefühl für Schüler und Lehrkräfte zu einer aufgeschlossenen und vielfältigen europäischen Gemeinschaft zu entwickeln – einer Gemeinschaft, die von unterschiedlichen Traditionen, Kulturen und regionalen Identitäten geprägt, zugleich aber auch in einer gemeinsamen Geschichte verwurzelt ist.

 
Man kann es auch einfacher ausdrücken: es geht darum, andere Länder Europas, ihre Traditionen und Kulturen kennenzulernen und gegenseitig bestehende Vorurteile abzubauen. Die Gesamtschule Brühl, an der 934 Schüler unterrichtet werden, hat dieses Projekt zusammen mit den Partnerschulen seit drei Jahren mit Leben gefüllt. Neben der Schuldirektorin Margarethe Hoffmann haben sich vor allem Birgit Meyer, Regine Möws und Jochen Ott konkret engagiert. Aber auch alle anderen Lehrer unseres 82-köpfigen Kollegiums sind am Comenius-Projekt beteiligt, direkt oder indirekt. Die gesamte Schulgemeinschaft und der Förderverein tragen es mit“, versichert die Schulleiterin.
 
Regine Möws und Birgit Meyer sind gerade vom letzten Treffen aus England zurück- gekehrt. Zusammen mit zwanzig Schülern der Jahrgangsstufen 7 bis 10 waren sie per Bus zur Partner-schule nach Nordengland gereist, wo sie eine Woche lang in bunt gemischten, internationalen Gruppen an gemeinsamen Workshops gearbeitet haben. Das bestens ausgestattete Arts & Craft College“ in Newton Aycliffe genießt vor allem in den Bereichen Kunst, Musik und Sport einen ausgezeichneten Ruf. Die Schüler nahmen u.a. an einem Tanzprojekt, in dem klassische Tänze mit modernen kombiniert wurden, oder an einem Rangoli“-Kunstprojekt teil.
 
Nächstes Treffen im Oktober in Kunice
Es ist immer wieder spannend zu sehen, wie sich die Schüler verhalten“, erzählt Birgit Meyer. Erst sind alle aufgeregt und zurückhaltend. Doch schon nach kurzer Zeit normalisiert sich alles. Wenn die Schüler versorgt sind, gehen wir Lehrer in die Planungsarbeit. Wir evaluieren, wie die Sachen bisher gelaufen sind und planen zukünftige Aktivitäten.“ Bis zur nächsten Zusammenkunft muss jetzt ein umfangreiches Aufgabenpaket abgearbeitet werden. Das Treffen findet im Oktober in Kunice statt, die große Abschlussveranstaltung in Limoges dann im Frühling 2007. In den bisherigen zwei Jahren wurde schon viel erreicht. Als wir uns das erste Mal trafen, war gerade die EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden abgelehnt worden. Die Schule hat die wichtige Aufgabe, die Idee Europa zu transportieren“, meint Jochen Ott.
 
Da sich das Comenius-Projekt über drei Jahre hinzieht, ist ein enormer Planungsaufwand erforderlich“, berichtet Margarethe Hoffmann. Da das erste Projekt im kommenden Jahr abgeschlossen sein wird, laufen schon jetzt die Planungen für eine Verlängerung. Die ist möglich, wenn weitere Schulen hinzukommen. Während die Gesamtschule Brühl den Kontakt zu Schulen in Spanien aufgenommen hat, wollen die Kollegen aus England eine Schule in Estland für das Projekt gewinnen. Doch das ist noch Zukunftsmusik.
 
Die Erfahrungen, die die Gesamtschule Brühl mit Comenius gemacht hat, sind außerordentlich gut. Lehrer, Schüler und Eltern engagieren sich in vielfältiger Weise für das Gelingen. Das wurde im vergangenen Sommer besonders deutlich, als die Schule das erste große Treffen mit Schülern aus allen vier Schulen organisierte. Dieses gelungene Fest wurde im wesentlichen von den Eltern vorbereitet. Das Kollegium war mit unserer Projektpräsentation im Brühler Rathaus beschäftigt. Wir wissen ja, dass wir uns auf die Elternmitarbeit verlassen können. Das liegt daran, dass wir einfach eine gute Schule sind“, sagt Margarthe Hoffmann selbstbewusst. Die Eltern fühlen sich bei uns ernst genommen. Sie sind in die inhaltlichen Strukturen eingebunden.“
 
Vorurteile werden abgebaut
So überrascht es nicht, dass sich mehr Gasteltern bereit erklärten, Schüler bei sich aufzunehmen, als es letztlich erforderlich war. Einige Eltern waren dann sogar ein bisschen enttäuscht, als wir ihnen absagen mussten.“ Auch die Schüler begeistern sich für das Comenius-Projekt. Auf die 20 Plätze für die Fahrt nach England bewarben sich fast 70 Schüler. Wir hatten ein aufwendiges Auswahlverfahren. Die Schüler mussten uns eine Bewerbung mit einer Begründung schreiben. Dann mussten sie kleine Projekte vor einer aus Referendaren bestehenden Jury vorstellen. Die Schüler waren dabei sehr fantasievoll und haben z.B. einen Reiseführer über Brühl geschrieben, Kunstwerke erstellt oder einen Film gedreht. Die Auswahl war nicht einfach“, erinnert sich Regine Möws.
 
Ursprünglich war das Projekt eher auf die Zusammenarbeit der Lehrer der Schulen zugeschnitten. Doch dem Kollegium war es wichtig, dass auch die Schüler davon profitieren konnten. Sie sollen doch diese lohnenden Erfahrungen machen. Die Aufgabe der Schule besteht doch auch darin deutlich zu machen, was Vorurteile sind“, sagt die Schuldirektorin. Dadurch, dass über die gegenseitigen Vorbehalte gesprochen wird, werden Vorurteile abgebaut. Und es haben sich ja überall Vorurteile eingeprägt. Unsere Vorurteile gegenüber den Polen und umgekehrt genauso wie etwa die englischen Vorbehalte uns gegenüber. Das ist ja manchmal abenteuerlich, was da alles an Geschichten kursiert.“ Nachdem das Eis gebrochen war, entstanden viele Kontakte, die jetzt per Email- oder Brieffreundschaften von Lehrern und Schülern gleichermaßen gepflegt und aufrechterhalten und in weiteren Treffen vertieft werden sollen.
 
Fachfragen werden ausgetauscht
Die internationalen Begegnungen auf Lehrer- und Schülerebene haben allen Beteiligten wichtige Einsichten in den verschiedensten Bereichen ermöglicht, ganz egal, ob beruflich, privat oder sozial. Die Lehrer diskutierten über berufliche Belange, die Schüler über Lebensbilder. Gemeinsamkeiten und Unterschiede wurden herausgearbeitet, die Eigenheiten der verschiedenen Länder besser kennengelernt. Das fängt bei der Definition, was Wohlstand bedeutet, an“, erklärt Margarethe Hoffmann. Die Lehrer in Polen arbeiten etwa vergleichsweise für einen Bruchteil des Gehalts ihrer Kollegen in Westeuropa. In England und Frankreich bestehen andere traditionelle Familienbilder als bei uns. Die Jugendlichen in Frankreich haben in qualitativen Interviews bekannt, dass sie lieber im eigenen Land bleiben wollen und sich einen längeren Auslandsaufenthalt nur schwer vorstellen können. Selbstverständlich kommt auch der Austausch an fachlichen Fragen nicht zu kurz. Dabei ist auch spannend zu sehen, wie unterschiedlich die Kollegen beispielsweise historische Stoffe wie den Versailler Vertrag an den Schulen vermitteln und wie sie die Schwerpunkte setzen“, fand Jochen Ott. Der 31-jährige Geschichtslehrer besuchte auch mit einer deutschen und einer polnischen Schülergruppe gemeinsam die Gedenkstätte in Auschwitz und stellte dabei auch ganz unterschiedliche Reaktionen fest.
 

Vertrauensverhältnis aufgebaut
Das Comenius-Schulprojekt lebt allerdings nicht nur von den internationalen Treffen. Dort sollen ja auch vor allem Inhalte und Anregungen für den Unterricht an der eigenen Schule abgesprochen werden. Parallel zu den Studienreisen gibt es in fast allen Schulfächern vielfältige Möglichkeiten, den europäischen Gedanken zu vertiefen. So wird etwa im Englischkurs von Regine Möws die multikulturelle Gesellschaft in England unter die Lupe genommen. Birgit Meyer baut in ihren Geschichtsunterricht einen Exkurs über die Nachkriegszeit in Polen und die Vertreibungen ein.
 
Wir sind froh, dass wir am Comenius-Schulprojekt teilnehmen“, bilanziert Margarethe Hoffmann. Zu den beteiligten Schulen verbindet uns ein kollegiales Miteinander, ein Vertrauensverhältnis wurde aufgebaut. Wir liegen auf einer Wellenlänge.“ Zu verdanken sei dies dem engagierten Einsatz der Lehrer, die parallel zum beruflichen Alltag an einer Ganztagsschule zusätzlich auch oft in den Abendstunden an dem Projekt mitarbeiten. Und wenn sie mit Schülergruppen auf Reisen gehen, sind sie von ihren Verpflichtungen hier an der Schule nicht freigestellt. Sie müssen für ihre Vertretungen den Unterricht vorbereiten“, so die Schulleiterin.
 
Tobias Gonscherowski

 

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