"Kunst zwischen Orient und Okzident"
Kohen Shaik Amin hat in diesen Tagen viel zu tun. Erst vor wenigen Wochen hat er mit seiner Familie das neue Domizil in einem alten Haus an der Bergerstraße bezogen. Noch immer sind nicht alle Kartons ausgepackt. Sein künftiges Atelier gleicht mehr einer Geräte- und Werkzeugkammer. Doch der freischaffende Künstler bleibt trotz der vielen größeren und kleineren Baustellen in Haus und Garten gelassen. Er hat in seinem Leben schon viel zu viel erlebt, um sich über derartige Bagatellen noch großartig den Kopf zu zerbrechen.
Momentan dreht sich ohnehin fast alles um seine fünfjährige Tochter Sarah. "Sie ist unser größtes Glück", sagt Kohen Shaik Amin, der in seiner Rolle als Hausmann völlig aufgeht. Während seine Frau Margrit Höhme, mit der er seit 24 Jahren verheiratet ist, täglich in Köln ihrer Arbeit als Programmiererin nachgeht, kümmert er sich um die Tochter und das Haus und ganz allmählich auch wieder zunehmend um seine Kunst, die zuletzt ein bisschen zu kurz gekommen war.
Doch das soll sich jetzt wieder ändern. Sobald das in einem früheren Stall untergebrachte Atelier fertig ist, will Kohen Shaikh Amin wieder loslegen. "Ich werde viel mit Beton arbeiten und sehr großformatige Modelle zu erstellen", verrät er uns. "Ich schaue einmal, inwieweit sich meine Pläne umsetzen lassen." Mit Beton hat der 48-Jährige noch nicht so viel experimentiert, zumeist kleinere Skulturen wie seine "Pilze" geschaffen. Er ist bislang vor allem für seine Holzskulpturen bekannt. Das Motto seiner Arbeiten hat er auf seiner Homepage im Internet unter www.kohen-shaikh-amin.de anschaulich zusammengefasst: "Kunst zwischen Orient und Okzident. Durch Bewusstmachung interkultureller Universalia bewahren wir unsere Menschlichkeit auch in Zeiten kriegerischer Auseinandersetzungen entlang kultureller Grenzen." Mit militärischen Konflikten hat er bereits seine persönlichen Erfahrungen gemacht.
"Soldaten umstellten unser Haus"
Kohen Shaikh Amin stammt aus Bangladesch. 1958 wurde er in einer Kleinstadt unweit der indischen Metropole Kalkutta geboren. "Meine Eltern waren keine armen Leute", sagt er. Der Vater war Politiker, die Mutter Sozialarbeiterin. In der Familie gab es einige Bildhauer, Maler und Musiker. Doch seine Jugend verlief nicht nur unbeschwert. Im Gegenteil. Als Bangladesch von politischen Unruhen heimgesucht wurde, musste die Familie Hals über Kopf das Weite suchen.
"Ich bin eines Nachts aufgewacht und habe aus dem Fenster geschaut. Da sah ich, wie Soldaten unser Haus umstellten", erzählt Kohen Shaikh Amin. "Ich habe sofort meine Eltern geweckt. Wir sind dann alle zusammen durch eine Hintertür in den Garten gelaufen und über das freie Feld davon gerannt. Plötzlich fiel meiner Mutter aber auf, dass meine kleine Schwester fehlte. Ich bin dann wieder zurück, habe sie gefunden und dann auf einmal in den Lauf eines Gewehres geschaut. Doch der Soldat drückte nicht ab, sondern sagte nur: ,Hau schnell ab.' An diese Begegnung denke ich noch heute zurück."
Die Familie flüchtete über die Grenze nach Indien. Zu Fuß legte sie 240 Kilometer zurück. Sieben Monate musste sie im Ausland verbringen, wo sie herzlich aufgenommen wurde. Bei der Rückkehr war das Haus leergeräumt. "Alles war weg." Das war 1971, Bangladesch wurde geteilt. Kohen Shaikh Amin war damals 13 Jahre alt. Doch die Zeiten beruhigten sich wieder.
In Alfter Bildhauerei studiert
Nach der Schule stand für ihn fest, dass er nach Europa wollte. England oder Deutschland sollte es sein, Naturwissenschaften wollte er zusammen mit zwei, drei Freunden studieren. "Wir wollten das westliche Leben genießen, mal hier, mal da", lacht er. 1978 kam er erstmals nach Deutschland. Doch statt die Naturwissenschaften zu entdecken, schlug er die künstlerische Laufbahn ein. Schon als Schüler hatte er erstmals ausgestellt, auch später "sozialkritische Werke" gezeigt und deshalb auch einmal eine Nacht im Knast verbracht. In Deutschland wurde er in Bonn sesshaft. Er besuchte die Anna-Nuss-Akademie in Alfter und belegte dort in den achtziger Jahren das Fach Bildhauerei. "Das hat mir sehr viel Spaß gemacht", erinnert er sich. Seit 2000 wohnt er mit seiner Familie in Brühl, wo er bereits früher ausgestellt hatte. "Brühl hat uns auf Anhieb gut gefallen. Es ist eine vollständige Stadt, in der es an nichts fehlt und die genügend Kindergartenplätzen bietet."
Doch kommen wir zurück zur Kunst. Immer wieder tauchen in Kohen Shaikh Amin Werken die Themen "Menschenschicksale, Vertreibung und Flucht" auf. Er verarbeitet darin seine eigenen Erfahrungen. Seinen mannshohen aus Eiche gefertigten Holzskulpturen "Auf der Flucht", die er erstmals 1999 in der Landesvertretung Nordrhein-Westfalen in Bonn ausstellte, veranschaulichen dies sehr eindrucksvoll. "Mir geht es um das ,sich finden', ,Orte verlassen', um ,leidende Menschen', darum, dass jeder Mensch seine Daseinsberechtigung und ein Recht auf unterschiedliches Denken hat", erklärt der Künstler. Von den Holzskulpturen hat er schon in der Vergangenheit einige zum Stückpreis von rund 2.000 Euro verkauft.
Offenes Atelier geplant
Kohen Shaikh Amin arbeitet zumeist als Bildhauer. Seine Skulpturen sind aus Holz oder Beton. Früher hat er auch oft mit Ton gearbeitet. Gelegentlich greift er auch zum Pinsel und widmet sich der Malerei. "Man erkennt die Bilder sofort, die von Bildhauern gemalt wurden", sagt er. "Wir malen robust und ausdauernd." In seinem noch in der Entstehung befindlichen Atelier, dem er den Namen "Atelier 43" geben wird, will er im ersten Stock malen. Dann will er auch jeden zweiten Samstag im Monat ein offenes Atelier veranstalten. Im Sommer plant er dort auch eine größere Ausstellung zusammen mit einigen befreundeten Künstlern. Doch bis es soweit ist, muss noch viel getan werden.
Tobias Gonscherowski