„Der Erlös unserer Verkäufe geht zu 100 Prozent ins Projekt”
Seit einigen Wochen hat im Pavillon auf der Bleiche ein ungewöhnlicher kleiner Laden eröffnet. Mit großem Schwung und viel Einsatz hat der gemeinnützige Verein „Vor Ort“ den von der Stadt zur Verfügung gestellten Pavillon eingerichtet. Verkauft werden außergewöhnliche Dinge und Produkte aus Kambodscha.
Der Erlös geht zu 100 Prozent an das vom Verein initiierte Hilfsprojekt in Kambodscha. „Wer ein Geschenk der besonderen Art sucht und dabei etwas Gutes tun möchte, der ist herzlich zum Stöbern eingeladen“, sagt Inge Freund, die stellvertretende Vorsitzende von Vor Ort. Der Brühler Bilderbogen hat sie zum exklusiven Gespräch besucht.
Wir treffen Inge Freund und ihre Mitstreiterin Ingrid Norwood im liebevoll dekorierten „Verkaufsraum“ des Pavillons. „Durch diese schönen Räumlichkeiten haben wir vollkommen neue Möglichkeiten unser Tuberkulose-Projekt in Kambodscha zu unterstützen“, meint Inge Freund. „Darüber hinaus macht es auch großen Spaß, so ein Lädchen aufzubauen. Es erfordert eine Menge Einsatz, Kreativität und Ideen.“ Anfangs waren es hauptsächlich Inge Freund und Ingrid Norwood, die sich hier engagiert haben. Deshalb gab es auch zunächst nur sehr begrenzte Öffnungszeiten. Doch dann haben sich immer mehr Helfer gemeldet, die bereit sind, regelmäßig mitzuhelfen. Die meisten arbeiten zweimal im Monat für zwei Stunden, einige auch mehr. Das Team besteht gegenwärtig aus elf Mitarbeitern.
„Die meisten Helfer waren zunächst Kunden, die sehr angetan waren von unserem Lädchen und sich spontan bereit erklärten, hier zu arbeiten“, berichtet Inge Freund. „Wir versuchen, eine nette Atmosphäre zu schaffen. So bieten wir Tee an und sind immer offen für Gespräche.“ Doch selbstverständlich sollen im Laden in erster Linie die schönen Artikel verkauft werden. „Unsere Artikel kommen aus unserem Projekt in Kambodscha“, erzählt die ehemalige Grundschullehrerin der Martin-Luther-Schule. „Es sind zum größten Teil Dinge, die man sonst nicht findet. So bieten wir zu erschwinglichen Preisen etwa typisch kambodschanische Seidenschals an oder Webereien, selbstverständlich keine Fabriksachen. An kleinen Unregelmäßigkeiten erkennt man handgefertigte Unikate.“
Es gibt auch einige schöne Holzarbeiten aus dem südostasiatischen Land, die aus Mangoholz oder Cocos gefertigt wurden. „Besonders stolz sind wir auf den Kopf von Jayavarman VII, den Erbauer der großen Tempelanlage in Angkor What“, sagt Ingrid Norwood. „Wir bekommen unsere Waren aus dem Projekt, das heißt, Touristen, die sich nach Ratanakiri verirren, bringen uns die Artikel mit oder Kambodschaner, die in Deutschland leben und ihre alte Heimat besuchen. Der Erlös unserer Verkäufe geht zu 100 Prozent wieder in das Projekt zurück.“ Der Laden ist dienstags bis donnerstags und samstags von 10 bis 12 Uhr und von 15 bis 17 Uhr geöffnet.
Hilfe zur Selbsthilfe
Doch welches Projekt wird eigentlich genau unterstützt? Wohin fließt das Geld, das in Brühl erwirtschaftet wird? „Der gemeinnützig eingetragene, im Mai 2001 gegründete Verein Vor Ort hat zum Ziel, basisorientierte Entwicklungshilfe in direkter Zusammenarbeit mit lokalen Initiativen und Institutionen in der entlegenen kambodschanischen Provinz Ratankiri zu leisten“, berichtet Inge Freund. „Es geht vor allem um die Bekämpfung und Eindämmung der Krankheit Tuberkulose. In der Provinz leben 13 ethnische Volksstämme, die schriftlos sind und als Animisten im Krankheitsfall eher auf Opferrituale vertrauen als auf die Schulmedizin.“
Die Idee, diesen Menschen zu helfen, geht in Brühl u.a. auf eine Initiative des Dechants Rüdiger Seifert zurück. Schon in den achtziger Jahren starteten erste Wohltätigkeitsveranstaltungen in Brühl und am Max Ernst Gymnasium, an dem Rüdiger Seifert unterrichtete. Zwei Schüler des Gymnasiums entschieden sich dann, ihren Wehrersatzdienst in Kambodscha zu leisten. Dies waren Markus Freund, der heute 31-jährige Sohn von Inge Freund, und Oliver Schell, die 1995 ihre Abiturprüfung bestanden. Beide sind heute noch in Kambodscha aktiv im Projekt tätig.
Auch Inge Freund hat sich selbst bereits vor Ort in Kambodscha ein Bild machen können. Von den extremen klimatischen Bedingungen im Land, von der Infrastruktur und vor allem von den dort lebenden Menschen. Der Verein Vor Ort hat bereits in vielfältiger Weise zu erheblichen Verbesserungen beitragen können. So hat der Verein die Infrastruktur der Behandlungszentren durch den Bau von Küchen, Brunnen und sanitären Anlagen verbessert. Die Patienten werden während der oft sechsmonatigen Therapie mit Sach- und Nahrungsmitteln unterstützt.
Besonders wichtig ist auch die Aufklärung und Schulung von Patienten und Angehörigen über die Krankheit während der Therapie, da sie nach ihrer Heilung in ihren Dörfern vom Erfolg der medizinischen Betreuung berichten sollen und anderen erkrankten Menschen die Angst vor der ihnen unbekannten Behandlung nehmen sollen. Das Personal in den Gesundheitszentren wird durch Schulung, Training und Praxisanleitung auf ihre Arbeit vorbereitet. Und schließlich ist auch die Durchführung von bei bewusstseinsbildenden Maßnahmen bei der Bevölkerung, also die Sensibilisierung für die Krankheit, von enormer Bedeutung. Dies wird auch durch Aufklärung durch entsprechendes Bild- und Filmmaterial für die schriftlosen Völker erreicht.
Bei all diesen Maßnahmen sind die derzeit 15 Angestellten sehr sensibel und mit viel Kreativität vorgegangen. „Wir haben Spiele entwickelt, eigene Filme gedreht und kleine Anreize geschaffen, damit die Menschen ihre Scheu verlieren“, erzählt Inge Freund. In den Anfangsjahren musste das Projekt allein Mitteln aus Brühl auskommen. Inzwischen beteiligen sich auch weitere Institutionen wie Misereor, die Sternsinger oder andere Stiftungen und Einzelspender. Im Jahr 2002 gewann Vor Ort den von Helga Kühn-Mengel ausgeschriebenen Preis „Engagement im Ehrenamt“, im gleichen Jahr wurde der Verein auch mit dem Agenda-Preis der Stadt Brühl geehrt. Auch die Caritas verlieh Vor Ort einen Preis, den Elisabeth-Preis für vorbildliches ehrenamtliches Engagement im sozialen Bereich.
„Wir wollen uns überflüssig machen”
Auf diese Auszeichnungen ist Vor Ort zurecht sehr stolz. Sie sind Ansporn, die Arbeit fortzusetzen. Rund 20.000 Euro im Jahr kann Vor Ort in enger Zusammenarbeit übrigens mit dem Begegnungscafé dem Projekt zur Verfügung stellen. Eine Menge Geld, das bei vielen Aktionen und Veranstaltungen auf dem Agenda-Markt, auf dem Weihnachtsmarkt, bei Trödelmärkten, beim Multikultifest oder dem Markt der Völker im Kölner Gürzenich eingenommen wurde.
Die Helfer in Brühl und die Helfer in Ratanakiri arbeiten weiter mit Feuereifer an der Verbesserung der Zustände in Kambodscha. Auf längere Sicht wollen sie erreichen, dass sich das Projekt auch weiterbesteht, wenn sich die Initiative einmal zurückzieht. „Das wäre etwas ganz Besonderes“, sagt Inge Freund. „Wir wollen uns überflüssig machen, dabei aber wissen, dass das Projekt selbständig fortbestehen kann.“
Weitere Informationen finden Sie im Internet unter www.vorortev.org oder telefonisch unter 02232/25209. Auch ein Spendenkonto gibt es bei der Kreissparkasse Köln: Kontonummer 133277289, Bankleitzahl 37050299.